Zum Inhalt springen

Wozu braucht es Zen-Lehrer?

von Niklaus Brantschen Roshi

Am 21. November 2020 wird Niklaus Brantschen – er hat zusammen mit Pia Gyger vor bald zwanzig Jahren eine Zen-Linie und die Kontemplationsschule via integralis gegründet – Jürgen Lembke zum Zen-Lehrer ernennen. Im Folgenden erinnert er daran, was Zen ist, warum gute Zen-Lehrer nötig sind und wie Zen als ein integrales Moment zur via integralis gehört.

Zen ist einfach. Es hat mit dem Naheliegenden zu tun. Ein kurzer Blick auf die beiden grossen spirituellen Ströme Chinas, die das Zen mitgeprägt haben, macht dies deutlich: Für Konfuzius ist der WEG (goss geschrieben) das Innere Gesetz: «Der WEG ist nahe, aber die Menschen suchen ihn in weiter Ferne. Nicht für einen Augenblick können wir von ihm getrennt sein. Das, wovon wir getrennt sein können, ist nicht der WEG.»

Der WEG ist in uns. Wir können nicht von ihm getrennt werden. Es empfiehlt sich, lange bei diesem Satz zu verweilen. Der Satz kann bereits einen gewissen Zugang zum Zen eröffnen. Mehr noch als der Konfuzianismus hat der Taoismus den Zen-Weg und den Weg der japanischen Künste beeinflusst. Das chinesische Schriftzeichen für das kosmische Prinzip TAO (WEG) wurde zum Do japanischer Künste. Denken wir etwa an Sho-do, den Weg der Kalligraphie, Sa-do, den Weg der Teezeremonie, Ka-do, den Weg des Blumensteckens. Wenn wir diese Künste praktizieren und vor allem, wenn wir Zen üben, finden wir den Weg. Wir finden ihn als das Umfassende, Absolute, das zugleich ganz konkret und alltäglich ist und – wie gesagt – einfach. Einfach und alltäglich wie das Trinken einer Tasse Tee.

Wenn Zen so einfach ist, wozu braucht es einen Lehrer? Ich kenne einen Kartäusermönch, der nur mit Hilfe von Büchern Zen praktiziert hat und zu einer gewissen Einsicht gekommen ist. Doch das ist die Ausnahme. Im allgemeinen ist eine Begleitung nötig, sei es aus Gründen der Motivation, sei es um Umwege oder gar Irrwege zu vermeiden, sei es, weil nur so die Reinhaltung des Zen, dieses traditionsreichen Weges, gewährleistet ist.

Jürgen wird ein guter Begleiter sein. Er hat in einem jahrelangen Prozess seine tiefe Zen-Erfahrung ins Leben integriert und in ungezählten Einsätzen als Assistent seine Zuverlässigkeit und seine Umsicht unter Beweis gestellt. Qualitäten, die übrigens im Namen, den Dieter Wartenweiler und ich für Jürgen ausgewählt haben, zum Ausdruck kommt.[i]

Im Übrigen gilt für das Zen, wie für alle ernstzunehmenden spirituellen Wege, das Verbot der Nachahmung des Meisters oder Lehrers. In den Erzählungen der Chassidim zum Beispiel überliefert Martin Buber ein Wort des sterbenden Rabbi Sussja: «In der kommenden Welt wird man nicht fragen: Warum bist du nicht Mose gewesen? Man wird fragen: Warum bist du nicht Sussja gewesen?»

Das Ziel der Zen-Schulung ist also nicht, den Lehrer oder irgendeinen alten Meister zu kopieren. Das wäre ein schlechtes Zeugnis für einen Lehrer, denn ein guter Lehrer bringt Originale hervor und keine Kopien. Jürgen ist ein `Original`. Zen und via integralis: Der 21. November 2020 wird auch ein wichtiges Datum für die via integralis sein. Als der Ort, wo Ost und West, Zen und christliche Mystik sich begegnen, steht es dieser Kontemplationsschule gut an, einen Zen-Lehrer zum Präsidenten zu haben. Jürgen wird dafür besorgt sein, dass in der via integralis auch in Zukunft ernsthaft Zazen praktiziert wird. Die Verbindung von christlicher Mystik und jener des Zen ist keine theoretische, sondern will in der Praxis Gestalt gewinnen.

[i] Der Lehrer-Name für Jürgen wurde bei der Ernennungs-Feier am 21. November 2020 bekannt gemacht und lautet «KENZAN» – Solider Berg.