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Buchbesprechung – Niklaus Brantschen, Zwischen den Welten daheim

Niklaus Brantschen, Zwischen den Welten daheim

Brückenbauer zwischen Zen und Christentum. Patmos 2017. (171 Seiten)

„Es drängt mich, Bilanz zu ziehen“ schreibt Niklaus Brantschen in seinem neuen Buch „Zwischen den Welten daheim“, das nun pünktlich zu seinem 80. Geburtstag erschienen ist. Es ist nicht das erste Buch, in dem der Jubilar Rückschau hält und aus dem reichen Erfahrungsschatz seines Lebens Erlebnisse und Tagebucheinträge wiedergibt. Aber zum ersten Mal habe ich beim Lesen den Eindruck, seine Autobiografie in Händen zu halten.

Wie meist in seinen Veröffentlichungen liebt Niklaus die Choreografie, den harmonischen Aufbau, der das Gesamte Werk durchzieht: zweimal 5 Kapitel dazwischen ein Intermezzo. Der erste Teil ist ein Rückblick; im zweiten Teil stehen die Inhalte und Themen, für die Niklaus gelebt hat, im Vordergrund. Dazwischen Standortbestimmung und Intermezzo, in dem der Autor innehält und sich selber (und Leser und Leserinnen) fragt: was hat es gebraucht? Was habe ich gelernt in all den Jahren?

Manches mag die Leser vielleicht aus früheren Veröffentlichungen bekannt vorkommen. Aber es erstaunt diesmal die Fülle von Tagebucheinträgen, die immer wieder seine Kunst kraftvoller Selbstreflexion – zum Teil mit Humor und Selbstironie gespickt – zum Ausdruck bringt und zeigt, dass das Zen-Motto Alltag ist der Weg für ihn keinesfalls Floskel sondern über Jahrzehnte geübte Praxis ist.

Im Rückblick der ersten vier Kapitel werden noch einmal die Jahre der Kindheit im Wallis lebendig; er lässt seine priesterlich-jesuitische Laufbahn und die Lehrjahre in Japan Revue passieren und erzählt liebevoll von seinem produktivsten Lebenswerk, der Neupositionierung des Lassalle-Hauses 1993. „Das Lassalle-Haus ist ein Stück von mir“, schreibt er im Rückblick. Damals begann eine unglaublich kreative und produktive Zeit in Zusammenarbeit mit Pia Gyger und unterstützt von Anna Gamma. Auch jene zukunftsweisenden Projekte, die in dieser Zeit „geboren“ wurden, wie das Lassalle-Institut, das Jerusalemprojekt, die Via Integralis u.a. kommen beim Lesen kurz zum Aufleuchten, auch wenn nicht immer im Detail alle Mitwirkenden oder Weggefährten erwähnt oder gewürdigt werden konnten. Mein Eindruck: Es ging ihm darum, den Gesamtbogen, das Spektrum seines großen Engagement in all den Jahren zum Leuchten zu bringen.

Für mich stellt das 5. Kapitel den Höhepunkt dar, das eigentliche Innehalten und Wahrnehmen des Momentes, in dem das Buch entstand. Viele kennen Niklaus mit seiner unerschöpflichen Vitalität und Kraft: „Ich dachte bis vor kurzem immer noch: Alt werden die anderen, die anderen sterben…“ Nun notiert er 2015 in einem Tagebucheintrag: „Ich werde nicht nur alt, ich bin alt.“

Am Ende dieses Kapitels schildert er in einer kleinen virtuellen Theater-Szene, wie er innerlich Abschied nimmt von den vielen Aufgaben und Rollen, die ihm in den zurückliegenden Jahren zugefallen sind, sei es der Priester, der Jesuit und Direktor, der Zenmeister und Schriftsteller und viele andere mehr… Alle kommen kurz zu Wort bis „der Vorhang fällt“. Abschiednehmen, das scheint das inklusive Thema zu sein. Den Wendepunkt hin zu diesem neuen Lebensgefühl brachte offensichtlich der Tod von Pia Gyger ein Jahr zuvor. Wie eine leise dünne Spur durchziehen die Erinnerungen und Verweise auf die gemeinsame Zeit mit Pia das ganze Buch.

Dennoch – auch der zweite Teil, wo er noch einmal manch bekannte Einsichten und Lebensthemen in Erinnerung ruft, ist recht leicht zu lesen. Eindrücklich sind dann die beiden letzten Akzente des Buches: Wir Menschen sind von EINER Art, unabhängig aller Prägungen wie Religion, Rasse oder Geschlecht, und uns allen ist dieser blaue Planet Erde gemeinsam zur Verantwortung übergeben. Und schließlich: Unsere vornehmste Aufgabe im Alter ist es, das das vergängliche Leben und alles Zeitliche zu SEGNEN.

Der 80-jährige Jubilar schließt mit einem Appell und einem Zitat von Dostojewski: „Es gibt viel zu tun. Packen wir es an. Vergessen wir dabei nicht, dass wir glücklich sind: „Der Mensch ist unglücklich, weil er nicht weiß, dass er glücklich ist. Nur deshalb. Das ist alles, alles! Wer das erkennt, der wird gleich glücklich sein, sofort, im selben Augenblick!“

Bernhard Stappel, November 2017

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