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Mit leeren Händen

Foto: Regula Tanner

Antritts- und Vorstellungsreferat von Regula Tanner anlässlich des Jahrestreffens vom 7. bis 9. Februar 2020 in der Propstei Wislikofen

Die erste Anfrage, die spirituelle Leitung zu übernehmen, ist schon ein paar Jahre her. Lange hatte ich viele Argumente dagegen – in meinen Händen: Zu jung, zu wenig Kurserfahrung, keine Zeit, ich weiss nicht genug etc. In diesen Jahren ist viel gewachsen, und meine Hände sind immer leerer geworden. Sie sind leer, weil mir immer mehr Konzepte abhanden-gekommen sind, was ich der via integralis als spirituelle Leitung geben könnte, oder wie sich die via Integralis weiterentwickeln müsste. Selbstverständlich ist da die Vision, dass immer mehr Menschen mit uns auf dem Weg sind und zu einem Weltbewusstsein erwachen, das Frieden ermöglicht. Aber, was das konkret für die Gruppe von uns Lehrerinnen und Lehrern heisst, das müssen wir zusammen im Dialog, im Miteinander ringen und hinhörend auf die Nöte der Zeit herausfinden. Ich sehe meine Aufgabe darin, zusammen mit Margrit Wenk und dem Vorstand, mit leeren Händen zu leiten und offen zu sein für das, was die via integralis oder Einzelne brauchen, und dies mit allen meinen Fähigkeiten zu fördern. Die via integralis ist nach vorne offen. Uns kennzeichnet, dass wir gerade nicht abschliessend sagen können, wer wir sind. Darüber bin ich froh. Aber ebenso bin ich glücklich über alles, was schon klar ist. Deshalb gilt mein Dank den beiden, die am Anfang standen, Pia Gyger und Niklaus Brantschen und Bernhard Stappel und Hildegard Schmittfull – sie haben zusammen mit vielen Teams und Arbeitsgruppen, und in den letzten Jahren zusammen mit dem Vorstand, die via integralis zu dem gemacht, was sie heute ist. Wenn ich jetzt mit leeren Händen die neue Aufgabe ergreife, dann ist die Gefahr gross, dass sie schnell voll sind. Deshalb bin ich froh, dass wir miteinander uns immer wieder mit der göttlichen Quelle verbinden, mit der Leere, aus der heraus alles werden kann.

Zu meiner Person

Während meines Theologiestudiums habe ich einige theologische Kurven genommen: Sehnsüchtig nach einer Gottesbeziehung, studierte ich zuerst an einer sehr fundamentalistisch ausgerichteten Akademie. Dann liess ein Studienjahr in Jerusalem alle Glaubenskonzepte in sich zusammenfallen. An den liberalen theologischen Fakultäten in Zürich und Basel genoss ich die Freiheit des Denkens, und nach dem Vikariat stellte ich fest, dass meine Gottessehnsucht mit den vielen offenen Fragen weder zu Antworten noch in eine spirituelle Praxis geführt hatte. So konnte und wollte ich nicht Pfarrerin sein. Ich hatte beruflich zum Glück eine andere Perspektive und beschloss, mir ein paar Jahre Zeit zu nehmen, um einen spirituellen Weg zu gehen, einerseits mit Zen und Kontemplation und andererseits mit einer intensiven internen Ausbildung im Katharina-Werk. Auf diesem Weg habe ich lange zu theologischen Fragen geschwiegen, d.h. ich habe zwar irgendwann angefangen, Theologiekurse zu geben und mich denkerisch wieder mit Theologie auseinandergesetzt, aber ich konnte lange nicht sagen, was dies existentiell mit mir selber zu tun hatte.

Diese Verbindung ist erst mit der Zeit gewachsen, und sie tut es immer noch. Und seit sich die Bibeltexte und theologischen Aussagen mehr mit meinen eigenen Erfahrungen verknüpfen, finde ich vermehrt die Sprache wieder, um die Texte für heute lebendig werden zu lassen. Deshalb sind mir auch die Schlüsselworte ein grosses Anliegen – sie sind sozusagen die andauernde Lösung eines Lebensthemas, nämlich: Verstehst Du, was Du liest? Ich verstehe noch immer vieles nicht, was in der Bibel steht – aber seit der Kopf durch die Erfahrung ergänzt wird, gibt es da und dort wunderbare Entdeckungen. Und es freut mich, dass es gelingt, diese Entdeckungen da und dort zu teilen.