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Von Lehrer*innen und Schüler*innen

von Hildegard Schmittfull, Spirituelle Leiterin AD,
Zen-Lehrerin der Glassman-Lassalle Zen-Linie

Im April dieses Jahres haben wir eine Fortbildung zum Thema Lehrer*in-Schüler*in-Verhältnis durchgeführt und sind der Frage nachgegangen: Was ist die Rolle der spirituellen Autorität in der Begleitung auf dem spirituellen Weg nach innen.

Wir haben den Blick auf die zen-buddhistische und die christlich-kontemplative Tradition gerichtet und festgestellt, dass im Zentrum persönlicher, spiritueller Höherentwicklung jahrtausendelang die hierarchische Beziehung zwischen Lehrer*in und Schüler*in stand. Doch die mit der Postmoderne einhergehende Autoritätskrise und ihr Gleichheitsideal haben dieses Verhältnis relativiert, wenn nicht sogar in Frage gestellt, und zwar in zweifacher Hinsicht: Einerseits haben einzelne spirituelle Lehrer durch Missbrauch zur Krise beigetragen. Andererseits wurde das hierarchische Verhältnis mit dem Gefühl des Unterlegenseins als Schüler*in in der postmodernen Zeit verworfen. Ken Wilber, der amerikanische Bewusstseinsforscher, kritisiert diese Generation und meint: Die Ansicht, dass im äusseren jegliche Lehrer*innen überflüssig seien, wäre eine massive Übertreibung und ein Fehlschluss. Es gehe vielmehr darum, unsere Erwartungen neu anzupassen und herauszufinden, was in dieser Beziehung hilfreich und angemessen ist.[1]

Auch der Zen-Meister Dieter Wartenweiler, Mitglied der Glassmann-Lassalle-Zen-Linie, lädt zu einem Suchprozess nach dem rechten Verhältnis ein: «Es sieht so aus, als ob eine Demokratisierung des Geistes stattfindet. Wir müssen ehrlich prüfen, wo patriarchale Strukturen und die autoritäre Macht Einzelner die Entwicklung des kollektiven Bewusstseins behindern. Lehrer und Schüler werden in Zukunft wohl vermehrt auf gleicher Ebene unterwegs sein und sich gemeinsam entwickeln, und auch die Rituale verlieren ihren hierarchischen Charakter.»[2] 

Es gehört zu unserem Selbstverständnis in der via integralis, das Lehrer*in-Schüler*in-Verhältnis immer neu zu reflektieren. Dabei fliessen unterschiedliche Erfahrungen ein. Viele von uns haben Erfahrungen in der Zen-Praxis, andere wiederum sind stärker geprägt von der Begleitung in der christlichen Tradition. Konsens besteht sicher zu folgenden Einsichten:

  • Menschen suchen sich eine Lehrerin oder einen Lehrer, um sich auf dem Weg nach innen, in die eigene Tiefe begleiten zu lassen. Dies ist ein sukzessiver Weg des Erwachens, verbunden mit einer radikalen Selbstbegegnung, begleitet von der Transformation aller egozentrischen Strebungen und der Integration von abgespalteten Anteilen. Auf diesem Weg tritt unser tiefstes Wesen, unser menschliches Potential, ja unsere Bestimmung für das Leben hervor oder, wie Graf Dürckheim sagt, der eigene innere Meister, die innere Meisterin wird entwickelt, übernimmt die Führung und weist hin auf den Platz im Leben. Dabei können Phasen auftauchen, in denen sich Schüler*in und Lehrer*in auf ein Gehen im Nichtwissen einlassen und darauf vertrauen müssen, dass dies Teil des Geburtsprozesses ist.
  • Dieser Prozess ist zutiefst existentiell und kann nur in einer wirklich vertrauensvollen Atmosphäre und Beziehung geschehen. Von Seiten der Lehrer*innen braucht es die Haltung des Ermutigens, des Förderns, aber auch des Forderns, von Seiten der Schüler*innen die Bereitschaft zu folgen, sich anzuvertrauen. Und obwohl den Lehrer*innen dabei die grössere Verantwortung zukommt, geht es heute nicht mehr darum, dass Schüler*innen ihre Verantwortung einfach abgeben. Mariana Caplan spricht von einer «bewussten Schülerschaft»[3], die ein kritisches Vertrauen einschliesst und eine bewusste Entscheidung, sich auf die Führung einzulassen.
  • Authentische spirituelle Lehrer*innen haben ihre Aufgabe mit rein spirituellen Mitteln (z.B. Gespräch, Unterweisungen oder Übungen) an ihren Schüler*innen zu erfüllen. Auch wenn heute niemand mehr Vollkommenheit von spirituellen Lehrer*innen erwartet, so kann doch selbstverständlich erwartet werden, dass spirituelle Lehr*innen bezüglich ihres Umgangs mit Macht und Sexualität reflektiert umgehen und achtsam sind gegenüber möglichem Missbrauch. Inge Hasswani[4] bringt es so auf den Punkt: «Gesunde Machtausübung ist einfach der Gebrauch der vollen Lebenskraft, zu bejahen, was unmittelbar aus dem Herzen hervorgeht und sie sich entfalten zu lassen. Wenn das gelingt, verliert das Ausüben äusserer Macht seinen Reiz. Es ist nicht mehr notwendig. Wahre Macht beginnt damit, die volle Eigenverantwortung für sich zu übernehmen, und zwar aufgrund der Erkenntnis, wer man wirklich ist. Und sie vollendet sich darin, dass man seinen göttlichen Kern für alle sichtbar in sein Leben integriert hat…»

Abschliessend: Zweifelsohne hat sich das Verhältnis zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen im Zen und in der Kontemplation bei uns im Westen verändert, wie sich auch in den letzten Jahrzehnten unser Verhältnis zu Autoritäten überhaupt verändert hat. Die Begegnung zwischen Lehrer*in und Schüler*in geschieht zunehmend auf Augenhöhe. Wenn ich persönlich meine Erfahrungen reflektiere, und zwar jene zu Pia Gyger und Niklaus Brantschen als meine Lehrerin bzw. als mein Lehrer, als auch jene zu meinen Schüler*innen, dann kann ich feststellen, dass in vielen dieser Beziehungen eine freundschaftliche Qualität spielte, die mich meines Wissens nicht gehindert hat, auf dem Weg zu fordern und zu fördern.


[1]Elizabeth Debold in: Was ist Erleuchtung, Heft Nr. 10/Herbst 2003, Auszug aus: Mariana Caplan, Do You Need a Guru? Understanding the Student-Teacher-Relationship in an era of false prophets (London: Thorsons, 2002)

[2]Macht und Freiheit, in: Visionen, Heft Nr. 9/2012, S. 10-14

[3]In: EnlightenNext Impulse, Herbst 2012, Freiheit und Demut, Die Schüler-Lehrer-Beziehung im 21. Jahrhundert.

[4]Dieter Wartenweiler, Referat beim Sangha-Treffen am 16. Juni 2013.

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