Was ist das tiefste Zeichen von Weihnachten?
Im 2. Kapitel des Lukasevangeliums lesen wir: «Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt.»
Es lohnt sich, einen Moment innezuhalten und nachzudenken. Das tiefste Zeichen von Weihnachten ist nicht ein kluger Mann, der viel redet, sondern ein stilles Kind, ein Kind, das noch nicht sprechen kann! Gott setzt keinen weisen Experten mitten in eine verwirrte und verängstigte Welt, damit wir einer noch weiseren Flut von Worten lauschen könnten.
Nein, Gott stellt jemanden in unsere Mitte, der noch nicht sprechen kann, um uns die Weisheit des Schweigens zu offenbaren, um uns, die wir so müde sind vom eigenen Reden und vom Reden der anderen, zu lehren, zu verstehen, was jenseits der Worte, des Denkens, der Bilder, der Phantasien liegt. Natürlich finden wir viele Antworten im Gespräch, aber die größten Antworten können wir nur finden, wenn wir endlich lernen zu verstummen.
Schweigen scheint die einfachste Sache der Welt zu sein. Wirklich, was ist so schwer daran, still zu sein? Jede/r, die/der schon einmal versucht hat, wirklich zu schweigen, weiß, wie schwierig das ist. Es dauert lange, bis ein Kind sprechen lernt. Aber es dauert noch länger, um schweigen zu lernen. Es erfordert keine große Anstrengung, den Lärm der Außenwelt zu vermeiden, aber es ist sehr schwierig, den inneren Lärm loszuwerden – die Worte, die Gedanken, die Bilder, die ständig in uns widerhallen und uns daran hindern, einen Moment lang wirklich mit uns selbst und mit Gott allein zu sein.
Äußerlich gesehen ist Weihnachten nicht die ruhigste, sondern die lauteste Zeit des Jahres. Das Beste, was wir uns und den anderen wünschen können ist daher, dass wir alle in dieser Nacht wenigstens einen kleinen, wenn auch nur kurzen Moment wahrer Stille finden, um uns selbst, den anderen Menschen und Gott wirklich zu begegnen. Es ist notwendig, echte Stille zu haben, um sich selbst wirklich zu sehen; jemandem in die Augen zu sehen, die/der mir am Herzen liegt, aber vielleicht lange vernachlässigt wurde und in die liebenden Augen Gottes, die auf uns gerichtet sind.
Wenn wir Weihnachten feiern, in dessen Mittelpunkt das neugeborene Jesuskind steht, dann feiern wir auch ein Fest, in dessen Mittelpunkt jemand steht, der nicht spricht. Sollten wir nicht auch verstummen? Nur aus echter Stille entstehen wahre Freude, Frieden und Vertrauen in die unerschütterlichen Grundlagen des eigenen Lebens in Gott und die großen Möglichkeiten, die er uns gibt, um Unsicherheit, Unwissenheit, Dunkelheit und Hoffnungslosigkeit zu überwinden.
Erinnern wir uns daran, dass das erste Weihnachtsfest auch in einer Zeit der Dunkelheit, der Angst und der Ungewissheit über das Morgen war. Wenn es uns genauso geht, dann wissen wir, dass Weihnachten uns etwas zu sagen hat! Aber dann müssen wir bereit sein, still zu werden, denn Weihnachten ist ein Fest der Stille, ein Fest des Schweigens, sonst bleibt es das Unbekannte, das Fremde, das seltsame Fest, bei dem wir uns unser ganzes Leben lang wie Passanten fühlen, die sich ungewollt in einem fremden Fest verlieren und nicht verstehen können, worüber sich die anderen wirklich freuen.
Lassen wir uns also auf die Stille dieser Nacht ein, um zu erfahren, wie reich, fruchtbar und kreativ sie ist, um zu erleben, wie diese Stille, die Stille Gottes, uns und die Welt verändern kann.
Juris Rubenis
Kontemplationslehrer und Leiter der Lassalle-Kontemplationsschule (LKS) in Lettland.