Menschen, die regelmässig meditieren, stellen sich u.U. irgendwann die Frage, inwieweit sie sich in ihrem Körper zuhause fühlen oder ob dieser ihnen, gleichsam objekthaft – eher fern als nah – gegenübersteht.
Vermögen wir in der Beantwortung dieser Frage zu sagen: «Wir sind unser Leib geworden» oder «Wir haben einen Körper»?
In der deutschen Sprache gibt es den Unterschied zwischen «Körper» und dem älteren Begriff «Leib». Dabei steht der «Leib» dem Lebendigen nahe, dem Gelebten, dem Erspürbaren. Er ist die Erscheinung der lebendigen Gegenwart eines Menschen schlechthin, während der «Körper» verdinglicht den materiellen Gegenstand meint, als den ich den Körper von aussen betrachten kann. Unser Körper ist stofflich und sichtbar. Wir sind geneigt, ihn zu instrumentalisieren, gehört er doch zur Welt der Materie. Wir vermögen dank ihm enorme Leistungen zu vollbringen.
Durch den Descartschen Dualismus der Moderne, der unser abendländisches Menschenbild in einen unkörperlichen Geist und einen äusserlich sichtbaren Körper aufgespalten hat, ist der menschliche Körper gleichsam zu einer «Maschine» degradiert worden. Die Seele als menschliche Seins-Dimension des Lebendigen ist dabei gänzlich aus dem Bewusstsein verschwunden.
In Folge haben wir Menschen weitgehend ein inneres, gefühltes Verhältnis zu unserem Körper im Sinne von Leiblichkeit verloren. Diese fehlende innere Verbundenheit zum Körper, die nicht angeboren, sondern erst im Laufe unserer Entwicklung entstanden ist, wird vielen von uns dann schmerzhaft bewusst, wenn körperliche und/oder seelische Schmerzen uns dauerhaft an dem Leben hindern, wie wir es bis anhin geführt haben. Dann machen wir uns auf, nach Wegen zu suchen, die uns wieder mehr gefühlte Lebendigkeit ermöglichen. Es ist der Körper, der uns hierbei auf dem Weg nach Innen zum Lehrmeister wird.
Vom Apostel Paulus hören wir im christlichen Kontext in seinem 1. Brief an die Korinther (1. Kor 6,19) den bewusstseins-weckenden Satz: «Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott habt?»
Dieser bald zweitausend Jahre alte Satz ist leider nicht zu einem kollektiven Kulturgut in unserem christlichen Abendland geworden. Er ist in einer patriarchalen Gesellschaft – wie die unanschauliche Seele – aus dem Bewusstsein verdrängt worden. Er hat nicht zu einer Integration der Polaritäten von Geist und Körper – Denken und Fühlen – männlich und weiblich – beigetragen. Es kam zu keiner Heiligung des Leibes als göttliches Geschenk, woran Menschen sich erfreuen dürfen, sondern zur Heranbildung des Körpers als «Dienstleib».
Auf meinem mehr als 30-jährigen Unterwegssein in Meditation und Kontemplation bin ich durch einen meiner Lehrer auf den Verhaltensmediziner Dr. Jon Kabat-Zinn aufmerksam gemacht worden. Der US-amerikanische Arzt praktizierte Achtsamkeits-Meditation und hat diese für das Behandlungsprogramm seiner Patient*innen in der «Stress Reduction Clinic» des University of Massachusetts Medical Center fruchtbar gemacht. Ich hatte das Privileg, ihn und seinen Kollegen Saki Santorelli in einem mehrtätigen Seminar eines Bildungszentrums in Österreich kennen zu lernen. Von ihnen und ihren Mitarbeiter*innen wurde der sogenannte «Body Scan» weiterentwickelt.
Der «Body Scan» führt, angeleitet durch eine geschulte Person, die Aufmerksamkeit der auf dem Rücken liegenden anderen Person durch die verschiedenen Regionen des Körpers. Diese werden wach für jede Empfindung, die – ohne zu bewerten – in dem jeweiligen Körperteil aufgespürt wird. Die Hörenden werden aufgefordert, darin mehrere Atemzüge lang zu verweilen. Begonnen wird mit den Zehen des linken Fusses durch die Beine bis zum Becken, von den Zehen des rechten Fusses erneut bis zum Becken und dann aufwärts durch Rumpf, Lenden, Bauch, Kreuz, Brust und Schultern. Weiter geht es von den Fingern durch die Arme zu den Schultern, weiter zum Hals, zum Gesicht und Hinterkopf bis zum Scheitel.
Der «Body-Scan» über längere Zeit praktiziert, ermöglicht über das achtsame meditative «Scannen» allmählich den Körper als einen gefühlten Leib wahrzunehmen. Der Leib wird der übenden Person in seiner von Augenblick zu Augenblick gefühlten Veränderung nach dem Grundsatz der stetigen Veränderbarkeit des Lebens gewahr.
Zur Einleitung ins «rechte Sitzen in der Stille» am Anfang der kontemplativen Übung bediene ich mich wie einige andere Lehrende der Kontemplationsschule via integralis des «Body-Scans». Er führt zu einer aufmerksamen Wahrnehmung des Körpers. Dieser soll als Gefäss für eine rechte äusserlich wie innerlich aufgerichtete Haltung zunächst ausbalanciert werden, gilt es doch, anschliessend für eine längere Zeit stillsitzend in wacher Präsenz zu verweilen. Im Laufe der kontemplativen Praxis kann sich so immer mehr die Erfahrung des Leib-Seins einstellen. Die Frucht dieses Übens ist die Integration in den Alltag. Er ist der Ort, an dem die Praxis, Leib zu sein, fortwährend weitergeht.
Ganz wach da-zu-sein heisst im christlichen Kontext, den Leib zu einem Tempel der göttlichen Gegenwart werden zu lassen, in der das Leben in Fülle erfahren werden darf, trotz körperlichen Beeinträchtigungen.
Ute Monika Schelb
Kontemplationslehrerin vi
Initiatische LeibTherapeutin
Ref. Pfarrerin – ehemalige Spitalpfarrerin
Bild: Ausschnitt aus “Einkörperung” von Ute Monika Schelb