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«Das Herz im Gebet der Sammlung» von Cynthia Bourgeault

Buchbesprechung von Winfried Semmler-Koddenbrock

Dieses Buch hat mich elektrisiert. Dr. Cynthia Bourgeault ist Priesterin der episkopalen anglikanischen Kirche in den USA, stellvertretende Vorsitzende der internationalen Teilhard-Gesellschaft und Kontemplationslehrerin. Sie war lange in Ausbildung in der Gurdjieff-Arbeit und beschäftigte sich intensiv mit dem Sufismus, dem tibetischen Buddhismus und weiteren mystischen Traditionen des Ostens. Sie engagiert sich für den interspirituellen und interreligiösen Dialog und ist eine Lehrerin der Praxis des Gebets der Sammlung (oder des zentrierenden Gebets) nach dem Trappisten P. Thomas Keating. Diese Form der Kontemplation ist deutlich anders als die Kontemplation der via integralis (geschlossene Augen, keine Fokussierung auf den Atem, sondern eher auf das Herz, andere Handhaltung, ein kurzes inhaltliches Meditationswort). Trotzdem ist das Buch mit grossem Gewinn zu lesen. Warum?

Cynthia Bourgeault hat eine hervorragende Wahrnehmung für die inneren Vorgänge in der Meditation, sprachlich genau, definierend, was sie meint. Das hilft, das Geschehen in meinem Inneren zu verstehen und dafür Sprache zu finden. Sie schreibt ähnlich präzise wie im buddhistischen Bereich der Psychologe John Welwood, den sie auch zitiert. Der Schwerpunkt des Buches behandelt das non-duale oder vereinende Bewusstsein als Kern der Kontemplation. Das habe ich aus heutiger westlicher Sicht noch nie so beschrieben gefunden, das öffnet mir eine Tür. 

Das non-duale Bewusstsein ist für sie wie ein zweites Betriebssystem unseres Geistes. Das erste, normale Betriebssystem ist unser mentales Bewusstsein mit der Trennung von Subjekt und Objekt und der Fähigkeit zur Unterscheidung und zur Selbstreflexion. Das non-duale Betriebssystem dagegen ist eine ganz andere Art von «Verdrahtung» im Gehirn, ein Zustand objektlosen Gewahrseins (S. 145ff.), das sich als ein dehnbares Bewusstseinsfeld entfaltet und nicht zwischen Innen und Aussen, Subjekt und Objekt unterscheidet. Dieses holographische Bewusstsein öffnet sich in der Meditation allmählich über Gedankenlücken und führt zu anderen Formen der Wahrnehmung: unmittelbarer, sinnlicher, mit mehr Schwingungsresonanz. Mit Verweis auf Rumi beschreibt sie dieses vibrierende Feld als «zitternd wie Quecksilber» (S. 42).

Das Upgrade unseres Bewusstseinssystems hat etwas damit zu tun, den Verstand ins Herz zu bringen (S. 63). «Unter dem oberflächlichen Geplapper gibt es einen vollkommen anderen Bewusstseins­bereich, eine andere Sphäre der Selbstheit, ein anderes Gespür für die Gegenwart Gottes, ein anderes Verstehen unserer Aufgaben als Mensch …» (S. 154). Mit Constance Fitzgerald bezeichnet sie diese andere Energieart als Feld «spiritueller Generativität» (S. 161). Über dieses Feld sind wir mit allen anderen Feldern derselben Art verbunden. Tibetische Buddhisten nennen diesen Zustand rigpa, «reines Bewusstsein», die christlichen Meister des Westens «Sammlung» (S. 148).

Mit diesem Schlüssel zur kontemplativen Erfahrung interpretiert sie dann im dritten Teil des Buches die «Wolke des Nichtwissens», das Werk eines anonymen englischen Mönches aus dem 14. Jahrhundert, ein Standardwerk der Kontemplation, das sonst schwer zu verstehen ist. Ihre Interpretation der «Wolke des Nichtwissens» als Ausdruck des non-dualen Bewusstseins finde ich sehr erhellend. Damit macht die «Wolke» auf einmal Sinn und wird schlüssig in sich. «Du magst dich noch so mühen, es gibt eine Dunkelheit und eine Wolke zwischen dir und deinem Gott. Dunkelheit und Wolke lassen nicht zu, Ihn mit dem Licht deines Erkennens deutlich zu erfassen, noch Ihn im Herzen selig zu spüren. Entschliesse dich deshalb, in dieser Dunkelheit so lange wie möglich zu verweilen.» (Wolke des Nichtwissens, Kapitel 3, Absatz 5; zitiert auf S. 137 und 162 im Buch). Augenscheinlich ist die Art von Liebe, die der Autor im Sinn hat, von grundsätzlich anderer Art als jene, die wir normalerweise mit «Affektivität» assoziieren. Anstatt die Affektivität auf ein heiliges Objekt zu richten, soll man ganz auf Objekte verzichten. «Liebe ist der vom Autor bevorzugte Begriff, um das zu beschreiben, was wir heute als non-duale, im Herzen verankerte Wahrnehmung bezeichnen würden.» (S. 138).

Der erste Teil des Buches von Cynthia Bourgeault ist ein Kurzlehrgang zum Gebet der Sammlung, der zweite Teil faltet entsprechend dem Buchtitel die Kontemplation als Weg des Herzens aus. «Herzzentriertes Erkennen ist die physiologische Grundvoraussetzung für die Entstehung eines stabilen non-dualen Bewusstseins.» (S. 170).

Hilfreich fand ich bei ihr u.a. die Hinweise zum Umgang mit Gedanken, die keine Hürde zum Meditieren sind, sondern eine Gelegenheit, das Loslassen zu üben. Sie zitiert eine Kursteilnehmerin und die Antwort von P. Thomas Keating darauf: «Ach, Pater Thomas, ich bin eine solche Versagerin in diesem Gebet. In den zwanzig Minuten hatte ich zehntausend Gedanken!» «Wie schön», antwortete Keating ohne Umschweife, «zehntausend Gelegenheiten zu Gott zurückzukehren.» (S. 24). Das Gebet der Sammlung ist im Prinzip ein Pfad der Rückkehr: von einem kleineren, beengteren Bewusstseinszustand in das offene Gewahrsein. «Liebe ist der bevorzugte Begriff der Wolke für dieses offene, diffuse Gewahrsein.» (S. 24).

Cynthia Bourgeault beschreibt in ihrem Buch den Weg einer christlichen Meditation. An ein paar Stellen finde ich sie zu sehr im Detail um Unterscheidung von anderen christlichen und nichtchristlichen Wegen bemüht. Natürlich hat mich bei der Lektüre auch interessiert, was ist gemeinsam mit der via integralis und was ist anders. Vielleicht sind da das Fragen und das Suchen von verschiedenen Ausgangspunkten hilfreicher als ein abgrenzendes Feststellen. Denn es geht in dem Buch um das Verstehen, was passiert da in mir und in uns. Für diesen Prozess finde ich die Lektüre des Buches und den Dialog mit Cynthia Bourgeault sehr hilfreich. Sie ist für mich eine wichtige Stimme für den heutigen christlichen, mystischen Weg. Andere Bücher von ihr, wie z.B. Jesus: Meister der Weisheit (2008, Deutsch 2020) oder Die Heilige Dreifaltigkeit und das Gesetz der Drei. Der Schlüssel zum Geheimnis des Christentums (2013, Deutsch 2020), sind ebenfalls sehr lesenswert.

Cynthia Bourgeault, Das Herz im Gebet der Sammlung. Non-duales Christsein in Theorie und Praxis, Deutsche Erstausgabe Chalice Verlag, Xanten 2021
Amerikanische Originalausgabe: The Heart of Centering Prayer, Boulder 2016

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