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«21 Lektionen für das 21. Jahrhundert» von Yuval Noah Harari

Lesetipp von Nicole Zeiter

Unter dem Eindruck des Lockdown suchte ich letzten März nach Literatur, die mich dabei begleiten würde, das Auftreten des Corona-Virus in die «Weltlage» einzuordnen. Ich war eben von einem dreimonatigen Lappland-Aufenthalt (ohne Coronafälle) zurückgekehrt und Schwups: zwei Tage später befanden wir uns im Lockdown. Da kam mir das Buch «21 Lektionen für das 21. Jahrhundert» von Historiker Yuval Noah Harari gerade recht.

Wertvoll war für mich, dass Harari insbesondere in den ersten zwei Teilen konkrete Handlungsfelder benennt, mit denen wir uns nicht immer so gerne beschäftigen, die uns aber Sorgen machen sollten. Zum Beispiel Hararis Einschätzung, wie sich die digitale Revolution auf den Menschen auswirken wird oder auch der kritische Blick auf die politischen Entwicklungen. Wird der Mensch von der selbst erschaffenen künstlichen Intelligenz überflügelt und am Ende gar von ihr dominiert werden? Sollen wir, weil die Globalisierung unangenehme Folgen hat, wieder zum Nationalismus zurückkehren, wie das gewisse Staaten bereits tun? 

Harari umschreibt die aus seiner Sicht wichtigsten Herausforderungen, welchen sich die Menschheit seiner Meinung nach in naher Zukunft stellen muss. Er gliedert seine Überlegungen in fünf thematische Teile. Deren innerer Zusammenhang erschloss sich mir allerdings nicht. Nach den ersten beiden Teilen hatte ich zunehmend das, Gefühl, dass der Argumentationsstrang sich verliert und mir einzelne Gerichte verschiedener Menüs serviert werden. Das liegt wohl daran, dass die 21 Lektionen aus bereits früher veröffentlichten Aufsätzen bestehen und damit erst nachträglich in eine Ordnung eingepasst wurden. Man kann sich dadurch die «Lektionen» nach eigenem Gusto herauspicken, jedoch ohne Anspruch, am Ende einen Überblick über das Gelesene zu gewinnen. 

Geschärfter Blick für Wendepunkt 

A propos Lektionen. Ein verführerischer Titel. Harari glänzt mit seinem umfassenden Wissen, das muss man ihm lassen. Dennoch sind es keine echten Lektionen, die einem hier erteilt werden. Es geht mehr um Denkanstösse. Harari wirft viele und grosse Fragen auf, die aufrütteln. Wollen wir das, was er da gerade als mögliche Zukunftsszenarien skizziert, wirklich? Lassen wir die Möglichkeit, noch einzugreifen und Gegensteuer zu geben, ungenutzt an uns vorbeiziehen?  

Das Buch ist keine leichte Kost, da einem die Dringlichkeit der Antworten auf gewisse Fragen noch stärker bewusst werden: Wenn es dumm geht, könnte alles aus dem Ruder laufen! Diese Warnung ist auch in früheren Jahrhunderten schon erklungen. Harari gelingt es jedoch, den Blick für den aktuellen Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit zu schärfen. 

Als «Wandernde» auf der via integralis beschäftigt uns dieser Wendepunkt ja auch. Interessant wird es für uns deshalb dort, wo Harari philosophische und ethische Themen anspricht.  Von der Frage, ob es einen Gott gibt über den Säkularismus führt er den Bogen bis hin zum «Nichtwissen» und unserem Gerechtigkeitsverständnis, das möglicherweise verändert werden muss, weil es den heutigen Bedingungen nicht mehr standhält. 

Es ist ein weites Feld, das er da beackert, mit vielen scharfen Beobachtungen und klugen Bemerkungen. Jedoch hat mich diese Fülle von Aspekten, die er in den fast 500 Seiten beleuchtet, überfordert. Ich hätte mir eine straffere und logischere Führung durch diese Themenvielfalt und irgendwie auch ein Fazit mit etwas mehr Boden gewünscht. Harari entzieht sich diesem Anspruch. Und zwar mit seiner Lektion 21 «Meditation».

Werbespot für die Meditation

Da wechselt Harari die Ebene und wird vom sprachgewandten und belesenen Historiker zur Privatperson. Er macht den Leserinnen und Lesern seine Erfahrungen mit der «Vipassana»-Meditation zugänglich. Als letzte Lektion erweckt dieses Kapitel bei mir den Eindruck, Harari wolle am Ende «irgendwie» doch noch eine Lösung präsentieren. Die Idee, die Schwierigkeiten und Widersprüche, die sich aus den 20 Lektionen davor ergeben, in einer Art Werbespot für die Meditation enden zu lassen, hat mich allerdings nicht überzeugt. Er verkauft da die Meditation etwas zu sehr unter ihrem Wert. Wie sagte Niklaus Brantschen am Jahrestreffen der via integralis doch kürzlich: Was die via integralis (und damit wohl jede Art von Meditation) ausmacht, kann man am besten mit «come and see» vermitteln. Nicht mit Worten.

Das klingt jetzt alles etwas harsch. Ich kann das Buch dennoch empfehlen, wenn man die Artikel einzeln, als Inspiration zu einem bestimmten Thema, liest. So kann man von Hararis enormem Wissen und seinen Gedankengängen am meisten profitieren. 

Yuval Noah Harari, 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert, C.H. Beck, München 2018

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