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Reise nach „Jerusalem“

Ein Gastbeitrag von Dr. Renate Kern / Interreligiöse Friedensmeditationen

Die ausgelassene Stimmung beim Kindergeburtstag ist gespannter Konzentration und fieberhaftem Wettkampfgeist gewichen. Dabei geht es nicht „um die Wurst“, sondern um einen Sitzplatz. Zu beschwingter Musik marschieren Mädchen und Buben kichernd und einander schubsend um zwei Stuhlreihen herum, die Rücken an Rücken aneinander stehen. Irgendwann wird die Musik unerwartet ausgeschaltet werden. Dann gilt es, schnellstmöglich einen Stuhl zu ergattern und sich hinzusetzen, denn ein Sessel fehlt. Der Langsamste bleibt „sitzlos“ und scheidet aus. Nach der Entfernung eines weiteren Hockers wird das Spiel fortgesetzt – bis schließlich die zwei Letzten um den einzig verbliebenen Stuhl gewetteifert haben. Zum Gewinnen gehören Glück, gutes Reaktionsvermögen und vielleicht auch der Einsatz der Ellenbogen. Im Zeitalter der Evolutionstheorie sowie sensibilisiert von Kriegen und Konflikten könnte ein kritischer Beobachter im harmlosen Gerangel der Kinder den „Konkurrenzkampf ums Dasein“ wiedererkennen. Sieht so – wie der Name des Spiels sagt – die „Reise nach Jerusalem“ aus? 

Die Bibel hat davon ganz andere Vorstellungen. Sie entwirft ausdrucksstarke Hoffnungsbilder mit universalem Horizont. Ein weltumspannendes Miteinander aller Menschen unter den Augen Gottes wird für die Zukunft erträumt. Das Buch Jesaja schildert in lichtvollen Farben die Vision von der Völkerwallfahrt zum Zion: „Über dir geht leuchtend der Herr auf“, heißt es dort an die Adresse Jerusalems, „seine Herrlichkeit erscheint über dir. Völker wandern zu deinem Licht und Könige zu deinem strahlenden Glanz. Blick auf und schau umher: Sie alle versammeln sich und kommen zu dir.“ (Jes 60,3-4a) Göttlicher Shalom wird über die Grenzen Israels hinaus die Völker ergreifen und umfassenden Frieden bringen. 

Was wie eine Utopie erscheint, ist aus neutestamentlicher Sicht anfanghaft Realität geworden. Das Matthäusevangelium will mit geschichtlichen Daten und Bibelzitaten zeigen: Im Christusgeschehen haben sich alttestamentliche Hoffnungen erfüllt. In diesem Kontext steht die Erzählung von den Sterndeutern aus dem Osten, die nach Jerusalem aufgebrochen sind, um den neugeborenen König der Juden zu suchen (vgl. Mt 2,1-12). In ihrem Pilgerweg hat sich die Verheißung Jesajas ein Stück weit erfüllt. Ihr Suchen und Finden ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit, denn es sprengt gewohnte Horizonte. Nicht die nahen Frommen, sondern die scheinbar fernen „Heiden“ machen sich auf den Weg – und kommen an! 

Im eingangs genannten Spiel zwingt eine Regel die Kinder, die Ungewissheit des Musikstopps und die damit einhergehende Spannung auszuhalten: Wer sich an einem Stuhl festhält, scheidet aus. Ob nicht manch religiöser Mensch, der auf seinem Stückchen Wahrheit „sitzt“, sie gerade dadurch zu verfehlen droht? Zu haben ohne zu haben, gehört zum Paradox spirituellen Lebens. Pablo Picasso drückt es so aus: „Ich suche nicht, ich finde. Suchen, das ist das Ausgehen von alten Beständen. Finden das völlig Neue. Alle Wege sind offen, und was gefunden wird, ist unbekannt. Es ist ein Wagnis, ein heiliges Abenteuer. Die Ungewissheit solcher Wagnisse können eigentlich nur jene auf sich nehmen, die im Urgeborgenen sich geborgen wissen, die in der Ungewissheit, der Führerlosigkeit geführt werden, die sich vom Ziel ziehen lassen und nicht das Ziel selbst bestimmen.“ 

Interreligiöse Friedensmeditationen

Mehr denn je braucht unsere Welt Menschen, die authentische spirituelle Wege gehen und auch einander mit Vertrauen ins Ungreifbare und Offenheit fürs Unerwartete begegnen. Dieses zwei-eine „heilige Abenteuer“ wagen auf unspektakuläre Weise die Teilnehmer/innen interreligiöser online-Friedensmeditationen, die von Lehrer/innen und Vertreter/innen unterschiedlicher Religionen und spiritueller Gemeinschaften gestaltet werden. Verbunden in der Sehnsucht nach Frieden sowie im Respekt vor verschiedenen Traditionen – seien sie symbolisiert durch Jordan, Tiber, Ganges (Raimon Panikkar) oder Jerusalem, Mekka, Lumbini oder… – und in der Ahnung um die Namenlosigkeit der unendlichen Fülle-Leere, „finden“ wir.

Alle sind herzlich eingeladen, mit zu schweigen und mit zu finden! 

Jeweils  am 1. und 3. Mittwoch des Monats, 19:00-19:45 Uhr, via Zoom
konkret:   05.02. / 19.02. / 05.03. / 19.03. / 02.04. / 16.04. / 07.05. / 21.05. / 04.06. / 18.06. / 02.07. / 16.07.2025

Zoom-Link:
https://eu01web.zoom.us/j/62031206743?pwd=TVZhU001c290R1JOeEo0MkJ0S1ZhZz09

Dr. Renate Kern
verantwortlich für das Ressort Grundsatzfragen und Strategie, Fachbereich Dialog der Religionen, Erzdiözese München und Freising

Flyer Friedensmeditationen

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