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Interview mit Claudia Nothelfer, Kontemplationslehrerin VI und Bildungsreferentin in der Propstei Wislikofen/Schweiz
Das Interview führte Regina Grünholz vom Redaktionsteam des Newsletters – am 3. März 2017
Regina Grünholz (RG): Claudia, Du bist als via integralis Kontemplationslehrerin und Theologin in der Bildungsarbeit der Röm.-Kath. Kirche im Kanton Aargau tätig und bietest schon seit Jahren Kurse in der Propstei Wislikofen an. Just heute Nachmittag beginnt dort der 4. Ausbildungslehrgang, der bis 2019 dauern wird! Du hast dich massgeblich beteiligt an der Suche nach einer neuen Heimat für die via integralis, nachdem Lassalle Haus und Fernblick weggefallen sind. Vieles sprach für Wislikofen. Erzähle uns doch bitte etwas über das Haus und den Ort!
Woher kommt der Name «Wislikofen»?
Claudia Nothelfer (CN): Der Name geht auf einen alemannischen Siedler namens Wizilin zurück, der, so vermutet man, im 9. Jhd. an dem Ort der heutigen Propsteikirche bei seinem Gehöft eine kleine Hofkapelle gebaut hat. Später benannte man den Ort nach ihm «Wizlichon».
RG: Was hat es mit der Propstei auf sich? Wie ging die Geschichte dieses Ortes weiter?
CN: Das Gehöft mit der Kapelle schenkten die „Edlen von Waldhausen“ (die Brüder Adelberus und Alterus sowie dessen Frau Mechthild, wegen diesem Akt „edel“ genannt, A.d.Red.) im Jahr 1113 dem Benediktinerkloster St. Blasien. 1137 wurde an dieser Stelle das erste kleine Kloster errich-tet. Es diente den Benediktinern, insbesondere dem Propst (= Vorsteher eines nicht selbständi-gen Klosters; deswegen auch der Name Propstei.) als Rückzugsort. Es gab ja turbulente Zeiten z.B. während des Dreissigjährigen Kriegs (1618-1648), des pfälzischen Eroberungskriegs (1688-1697) und der Spanischen Erbfolgekriege (1701-1714). 1807 wurden dann die Propstei und auch das Mutterkloster St. Blasien im Zuge der Säkularisation aufgehoben. Die Katholische Pfarrei Wislikofen erhielt die Kirche zur freien Verfügung. Da entwickelte sich Kurioses: das Dorf nutzte vorübergehend die Propstei als Telefonzentrale! Später räumte der Pfarrer den alten Taufstein aus der Kirche in den Propsteikeller und vergrub darin, das Becken mit Sand aufgefüllt, seine Rüebli für den Winter. 1976 wurde dann in den alten Räumen des Klosters das Bildungs- und Seminarhaus der Röm.-kath. Landeskirche Aargau eröffnet.
Die Propstei liegt mitten im „Studenland“, dem östlich der Aare gelegenen Teil des Aargaui-schen Bezirks Zurzach, in wunderschöne Landschaft eingebettet. Sie wurde seit der Eröffnung fortlaufend sanft renoviert und auch erweitert. Sie strahlt Schlichtheit und Würde aus. Und sie steht unter Eidgenössischem und Kantonalem Denkmalschutz. Viele BesucherInnen sagen, sie nähmen die Propstei als Kraftort wahr.
RG: Wie sieht das heutige Organigramm des Hauses aus, das sein Jahresprogramm mit „Bildung und Propstei“ überschreibt?
CN: Die Propstei dient der Röm-Kath. Kirche im Aargau als Bildungsstätte. Frau Dr. Claudia Mennen, Theologin, führt das Haus als „Leitung Bildung und Propstei“. Frau Letizia Witton, hat das Sekretariat der Bildungsleiterin unter sich. Die Hotelleitung liegt bei Herrn Stefan Bischoff. Ihm sind die Köche und das Personal des Service und der Hotellerie unterstellt. An der Rezeption sind zwei Frauen tätig; bei Ihnen gehen die Kursanmeldungen und Raumanfragen ein. Die theologischen Fachmitarbeitenden, zu denen auch ich gehöre, sind Frau Mennen unterstellt und führen unterschiedliche Kursangebote als Eigenprogramm der Propstei durch.
Da die Propstei auch Seminarhotel ist, wird sie von Firmen oder Vereinen als Ort eigener Schu-lungsangebote oder Retraiten in Anspruch genommen. Dadurch ist die Propstei nicht nur, aber weiterhin auch, ein Ort der Stille.
RG: Wie bist Du, Claudia, dahin gekommen?
CN: Als ich den 2. Lehrgang der via integralis (2008-2011) besuchte, war ich als Gemeindeleiterin in einer Pfarrei im Fricktal tätig. Es war mir wohl dort, doch es zog mich zugleich immer wieder in die Bildungsarbeit, für die ich schon Zusatzkurse absolviert hatte. Dann wurde ein Platz frei in der Fachstelle „Bildung und Propstei“, für den man jemanden suchte, der die Kultur der Stille und die bisherigen Kontemplationsangebote weiterführen konnte. Das passte wunderbar! Mein Einsatzort ist jedoch nicht nur in der Propstei, unser Team ist im ganzen Kanton mit weit gefass-ten Bildungsangeboten für Erwachsene aktiv. Mein Büro steht in der Röm.-Kath. Kirchgemeinde Wettingen bei Baden.
RG: Etwas zu Deinem Leben und Deinem beruflichen Werdegang?
CN: Ich bin verheiratet und (ungewollt) kinderlos. Die Natur und die Tiere sind mir sehr nahe; ein Labrador lebt mit uns, sozusagen stellvertretend für viele andere Tiere, die ich auch gern um mich hätte. Von der Arbeit erhole ich mich dort am Hallwilersee in unserem Naturgarten mit Biotop – er wirkt sehr meditativ auf mich.
Nach meinem Theologiestudium in Tübingen kam ich vor 27 Jahren zuerst als Pastoralassisten-tin in die Schweiz. Dann machte ich die Ausbildung zur Spitalseelsorgerin und arbeitete in ei-nem Hospiz für Aidskranke in Zürich. Anschliessend wechselte ich in die Jugendberatung und -seelsorge nach Basel. Später kehrte ich dann zur Pfarreiarbeit zurück. Von dort ging ich in die Bildungsarbeit der Landeskirche, und bin seit acht Jahren in Wislikofen tätig. Ich habe schon als Studentin in Gruppen meditiert. Da sassen wir jeweils eine halbe Stunde beisammen in Stille. Das war aber noch sehr unstrukturiert. Die Form, den Rahmen, habe ich erst ab 1996 gefunden, als ich Schülerin von Pia Gyger wurde. Seit drei Jahren bin ich Schülerin von Hildegard Schmitt-full.
RG: Was für Kriterien waren ausschlaggebend für die via integralis, Wislikofen als neue Heimat zu wählen?
CN: Die Spurgruppe der via integralis, die sich des Themas „Verortung“ annahm, prüfte und befrag-te unter der Federführung von Erich Schlumpf eine Reihe von (Bildungs-) Häusern in der Schweiz und im Badischen Raum. Wichtige Kriterien dafür waren: Kann das Haus Räume, Zei-ten, Orte der Stille gewährleisten, auch bei den Mahlzeiten? Wie würde die Eingliederung und Bewerbung unseres Kursangebots vonstattengehen? Müssten wir selber für die ganze Admi-nistration aufkommen oder hätten wir Unterstützung? Wären unsere Kurse im Eigenprogramm ersichtlich oder hätten wir Gaststatus? Wären wir als Kontemplationsschule willkommen? Wel-che Preise würden für uns gelten? – Die Häuser wurden persönlich besucht, und es fanden Ge-spräche mit den Verantwortlichen statt. Die Propstei Wislikofen zeigte sich offen und am meis-ten entgegenkommend in allen Punkten.
RG: Was waren im Haus für Neuerungen nötig, bevor man uns aufnehmen konnte? Baulich-strukturelle, den Tagesablauf betreffende? Welche Vorbereitungen wurden getroffen?
CN: Im Wesentlichen sind es zwei Neuerungen, zu denen die Verantwortlichen Ja sagen mussten. Im Bildungsbereich bedeutete es: die Bereitschaft für die Erweiterung des Eigenprogramms samt der zusätzlichen Administration, die man nicht unterschätzen darf, bringt einen erhöhten zeitlichen, personellen und finanziellen Aufwand mit sich. Das muss organisiert, eingeführt und verantwortet werden. Die Propsteileiterin, Claudia Mennen, hat auf dieser Ebene sehr viel für die via integralis investiert.
Für die Hotellerie hiess die «Eingliederung» der via integralis eine grosse Rücksichtnahme im Tagesablauf: Rücksicht auf die schweigenden Menschen und den Ablauf der Kontemplations-kurse, Gong und Glöckchen, Raumbedürfnisse, Essenswünsche, eigener Speisesaal (dazu wurde das Refektorium unten neben der Küche hergerichtet), Unterbringung des gesamten via-integralis-Materials. Für das Personal ist das neu und muss regelrecht eingeübt werden.
Das war alles aufgegleist bis zum Jahresende 2016. Nun geht es darum, dass sich die Dinge ein-spielen und Toleranz auf beiden Seiten geübt wird. Der Start im Januar 2017 mit dem LehrerIn-nentreffen war positiv und verbunden mit viel Sympathie und Freundlichkeit.
Die Atmosphäre im ehemaligen Kloster ist ideal für Kontemplationskurse. Die Räume strahlen eine zurückhaltende Würde und Behaglichkeit aus, die grosszügige Anlage bietet Rückzugsgele-genheiten, Innenhof, Garten und Spazierwege laden zum Lustwandeln ein. Und das Personal ist super bemüht und aufmerksam!
RG: Wo gibt es aktuell noch kritische Punkte?
CN: Die Propstei ist und bleibt ein Haus, das unter einem Dach Stille und Arbeit, Lebendigkeit und Gespräch vereint. Absolute Stille kann nicht gewährleistet werden, da neben den Kontemplati-onsgruppen immer auch redende, singende, lachende und hörbar arbeitende Gruppen im Haus sein werden. Es bleibt eine Herausforderung, bei der Raumbelegung Schweigegruppen nicht neben Arbeitsgruppen zu platzieren, denn die Räume sind teilweise hellhörig. Das liegt an der Architektur und dem Alter des Hauses.
Was wäre wünschenswert…? Vielleicht könnten noch da und dort einfache Schalldämmungen installiert werden. Das Übrige wird sich zeigen. Für mich selber kritisch ist, dass mir die Rück-zugsorte Lassalle-Haus und Fernblick als meine persönliche Oase fehlen, wo ich die Kontempla-tion ganz für mich und meinen Weg vertiefen kann… Entgegen kommt mir da, wenn ich im Rahmen der via integralis Kurse eine Assistenz innehabe. In dieser Rolle fällt es mir leichter, Auskünfte zu geben oder beim Organisieren zu helfen, unabhängig von meiner Bindung ans Haus. Auch wird sich zeigen, ob sich meine beruflichen Angebote dort mit denen der via integ-ralis konkurrenzieren. Da habe ich noch ein Stück Weges vor mir!
RG: Lässt sich eine direkte spirituelle Linie zwischen den Anfängen der Propstei, ihrer Gründung und unserem Kontemplationsangebot und der Propstei als Versammlungsort für die Lehrenden der via integralis ziehen?
CN: Ja schon, insofern als sich die Mönche aus St. Blasien dem „ora et labora“ verschrieben hatten und dies sich als roter Faden durchzieht: Später, als Bildungshaus der Landeskirche, war die Propstei immer ein zentraler Ort für spirituelle Angebote wie die Gestaltung von Kar-und Oster-tagen oder Weihnachtstagen und für Stille-Kurse. Auch war sie immer schon ein Ort der Begeg-nung an Kursen, Tagungen und Weiterbildungen. Pater Wolfgang Abt hat über Jahre das Kon-templationsangebot in der Propstei geführt. Nach seinem plötzlichen Tod wurde dieser Bereich an Ferdinand Braun, einen Kontemplationslehrer aus der Willigis Jäger-Schule, übergeben – und nun führt die via integralis das Kontemplationsangebot in die Zukunft.
RG: Drei Überraschungsfragen:
RG: Wie ist es, mit einem solchen Namen «Nothelfer» durchs Leben zu gehen?
CN: (lacht, diese Frage bekommt sie oft zu hören) Da ich mit diesem Namen zur Welt gekommen bin und in meiner Heimatstadt viele «Nothelfer» herumlaufen, hat er für mich gefühlsmässig Normalität. Wenn Menschen irritiert schauen oder lachen, merke ich, dass man in meinem Fall schnell an „Nomen est Omen“ denken kann. Ich glaube nicht, dass ich wegen meines Namens in der Kirche tätig bin.
RG: Wir bekommen Gastrecht in Wislikofen – was kann die via integralis dem Ort geben?
CN: Sie kann im Haus den Geist des Friedens und der Liebe durch Sammlung und Stille stärken. Sie kann zeigen, dass der spirituelle Erfahrungsweg für Menschen mitten in der Welt möglich ist und positive Auswirkungen hat.
RG: Wie vertragen sich die Schwere der klösterlich-katholischen Mauern mit der Leichtigkeit des ZenGeistes?
CN: Für mein Empfinden gibt es eine christliche Leichtigkeit, Gelassenheit und Heiterkeit, die mit der Freiheit der Kinder Gottes zu tun hat – unabhängig von der Dicke der Mauern. Und es gibt einen falsch verstandenen Zen-Geist, der die Leichtigkeit in Strenge und Askese erstickt. Wir werden uns begegnen und bereichern, da bin ich zuversichtlich, ganz nach Rumi, der sagte: Jenseits von richtig und falsch gibt es einen Ort, da treffen wir uns.
RG: Vielen Dank Dir, Claudia, für Deine Auskünfte im Namen all unserer Leser und Leserinnen. Und wir wünschen allen via integralis Lehrern und Auszubildenden und interessiert Schnuppernden in der neuen Umgebung sowie dem Haus selber mit uns fruchtbare Zeiten im Pflegen einer Kultur der Stille.
Regina Grünholz, 3. März 2017