Bevor ich die via integralis kennenlernte, war ich während zwei Jahren für einige Tage in Plumvillage, dem Meditationszentrum von Thich Nhat Hanh. Neben der Morgenmeditation und dem Studium einiger wesentlicher Sutren steht am Vormittag und Nachmittag die Gehmeditation auf dem Programm. Alle treffen sich, singen zur Einstimmung ein Lied, welches den Text eines Kurzgedichts (Gatha) aufnimmt und so in die Stille und die Wahrnehmung führt. Danach geht die Gruppe neben- und hintereinander eine längere Zeit schweigend und meditierend durch den Wald. Zwischendrin bleiben alle einmal stehen und nehmen noch intensiver die Natur wahr. Nach ca. einer Stunde kehrt man auf das Gelände des Klosters zurück.
Mit dieser Erfahrung im Gepäck haben wir uns in der Kontemplationswoche des vierten via integralis Lehrgangs, als gerade die Handwerker mit der Reparatur der Fenster des Meditationsraumes beschäftigt waren, zur Gehmeditation nach draussen begeben. Der gemeinsame Weg durch die Felder bis zum Waldrand, eine gewisse Zeit stehend in Stille im Wald und die schweigende Rückkehr waren unsere Übung.
Damals war für mich durchaus offen, ob wir diese Form der Gehmeditation in die via integralis aufnehmen würden. Mittlerweile sind wir in der Integration anderer Praktiken in unsere Schule klarer und vorsichtiger geworden. Wir integrieren nur, was wir als Lehrerinnen und Lehrer selbst voll erfasst haben. Das ist verständlicherweise für viele von uns etwas anderes.
In seinem Buch „Der Geruch von geschnittenem Gras, Anleitung zur Gehmeditation“ beschreibt Thich Nath Hanh die Kernpunkte dieser Übung:
- das reduzierte Tempo
- das bewusste Atmen
- das Angleichen des Rhythmus der Schritte an den Atem
- ein Halblächeln im Gesicht
Einer der Hauptaspekte der Übung ist es, die Zahl der Schritte dem Atem anzugleichen. Dem wird bei der Einübung der Gehmeditation eine grosse Bedeutung geschenkt. Dabei versuchen wir, die Atmung nicht zu manipulieren oder zu ändern. Dennoch zu schauen, ob wir 2 Schritte zum Einatmen und 2 zum Ausatmen oder jeweils 3 Schritte machen oder ob wir 3 zum Ausatmen und nur 2 zum Einatmen brauchen. Wir finden so unseren eigenen Rhythmus. Dieses wache Angleichen des Schrittrhythmus an den Atemrhythmus kann uns im Alltag zurückholen und helfen. Während wir so gehen, bleiben wir ganz beim Atem.
In vielen alltäglichen Situationen können wir Gehmeditation üben, z.b. auf dem Weg vom Schreibtisch zur Toilette, dem Weg in der Mittagspause zur Kantine, dem Restaurant oder der Küche. In jedem Fall bleibt das Ziel der Gehmeditation die Meditation selbst. Sie lädt auf besondere Weise dazu ein, die Haltung der Meditation während des Tagesablaufs wach zu halten.
Thich Nath Hanh führt weiter aus: „Jeder Schritt ein Schritt des Friedens“. Wenn wir so Gehmeditation praktizieren, stellt sich bei uns die Erkenntnis ein, dass der Friede nicht das Ziel unseres Weges ist, sondern dass jeder Schritt das Potential in sich trägt, ein Schritt des Friedens zu sein. Er ergänzt dies mit dem Bild, dass wir unseren Fuss so sanft aufsetzen können, als ob dann am Ort unseres Fussabdruckes eine Lotusblume wachsen würde, wie es in einer Legende des Buddha heisst. Das ist auch für uns möglich. Wenn wir so auf unseren Fussabdruck achten, sind wir ganz in unserer Wahrnehmung in den Füssen. Dann wird auch das Kinhin, die Gehmeditation zwischen dem Zazen, anders.
Mit grosser Freude empfehle ich euch dieses Büchlein und natürlich noch mehr das Praktizieren – am besten jetzt gleich, wenn ihr nach dem Lesen aufsteht. Geht langsam, achtsam und meditiert im Gehen.
Markus Heil, Kontemplationslehrer via integralis Stufe 2