Nachdem ich schon einige Jahre Schülerin bei Pia Gyger ktw war, konnte ich interessiert verfolgen, dass es erstmals einen Lehrgang für die neu gegründete Lassalle Kontemplationsschule via integralis (vi) gab. Ich bat Pia Gyger, in den zweiten Lehrgang einsteigen zu dürfen, denn ich spürte den klaren Ruf, Kontemplationslehrerin dieser Schule zu werden. Die via integralis war mir von Anfang an spirituelle Weggemeinschaft, ja Heimat, Wahlfamilie und Seelenfamilie. Darum engagiere ich mich auch im Dienst der vi, mit viel Freude an den Möglichkeiten von Mitgestaltung.
Fast gleichzeitig begann ich den Lehrgang vi und meine Anstellung in der Bildungsarbeit der röm.-kath. Kirche im Aargau. Das ist nun 14 Jahre her. Pia Gyger autorisierte mich schon zu Beginn des Lehrgangs, mit Kontemplationskursen zu beginnen. Das wurde von meiner Arbeitgeberin begrüsst, und so war das Angebot von Kontemplationskursen von Anfang an Teil meiner Tätigkeit. Ich empfand es als grosses Glück, verschiedene Gruppen und Einzelpersonen in spirituellen Reifeprozessen begleiten zu können. Meine Bildungsarbeit war weniger Vermittlung von Wissen, sondern eher Wegbegleitung; weniger Kopfarbeit, sondern eher Deuten von Erfahrung; weniger Theologie, sondern eher Schöpfungsspiritualität; weniger Theorie, sondern Motivation zur Mitgestaltung der Welt aus einer spirituellen Haltung heraus.
Konkret hielt ich einerseits Kontemplationskurse von mehreren Tagen oder fortlaufend ein, zwei Stunden unter der Woche, andererseits bot ich Kurse an, z.B. im Themenfeld von Aufbruch- und Umbruchsituationen, Lebens- und Glaubensfragen, Natur- und Sinneserfahrungen und schliesslich auch in der Begleitung von unterschiedlichen Gruppen in ihrem spirituellen Suchen. Die meisten Angebote liessen sich stimmig mit Einheiten von Sitzen in Stille und Leibarbeit verbinden. Personale Leibarbeit nach Graf Dürckheim habe ich in Rütte erlernt. So oder so floss der Herzgeist der vi überall in meine Tätigkeiten ein, zumal gleichzeitig die persönliche Vertiefung als Schülerin bei Pia und später bei Hildegard weiterging.
Ein Beispiel aus meiner Begleitung von Gruppen:
In der Wettinger Seniorengruppe, die ich einige Jahre mit einem Kursangebot «Theologie 60 plus» begleitete, erwähnte ich eines Tages, dass ich in Ausbildung zur Kontemplationslehrerin sei. Unerwartet hakten einige ein. So begannen wir damit, uns mit einem Gang durch die Geschichte der christlichen Mystik zu beschäftigen. Und dann mit den Gemeinsamkeiten und Unterschieden von christlicher Mystik und Zen / von Kontemplation und Zazen. Und schliesslich wollte die Gruppe in das kontemplative Gebet eintauchen und sitzen. Dies tut sie mittlerweile seit über 10 Jahren. Die Frauen und Männer sind heute nicht mehr 60 plus, sondern 70 plus. Eine stabile Gruppe, in der es so gut wie keine Abgänge gibt (ein Mann verstarb leider an Corona). Vereinzelt kommen Neuinteressierte dazu. Auf einen Impuls meinerseits folgt jeweils ein kurzer Austausch, dann zwei Einheiten kontemplative Stille. Einzelgespräche führe ich ausserhalb der Treffen. Die meisten Teilnehmenden haben eine kirchliche Sozialisation; alle sind Suchende. Die Treue zur Kirche und zu Christus und die Enttäuschung über so Vieles in dieser Kirche lässt sehr offene und tiefe Gespräche zu. Es ist eine wunderbare Fügung, dass ich die Menschen in mehr christliche Freiheit und spirituelle Vertiefung hinein begleiten darf. Oft ringen wir um Glaubensthemen, ums Weltgeschehen, um persönliche Entwicklungen. Die Erfahrung ist: Der Weg in die Tiefe befreit – von ungesunden Glaubenssätzen und falsch verstandenem Gehorsam. Das Gottesbild verschiebt sich in Richtung Gotteserfahrung. Neue Weisen, Tiefes zu sagen, Sprache zu finden für das Geheimnis, wegzukommen vom Denken in Gegensätzen und Bewertungen tun sich auf. Der Weg rüttelt wach, hebt ans Licht, was nicht leben sollte oder konnte. Gemeinsam teilen wir die Freude und die Mühsal des Wachsens.
Meine gesundheitliche Situation erschwert mir leider zunehmend längeres Sitzen. Gleichzeitig spüre ich die Früchte des jahrelangen Weges, die u.a. darin bestehen, dass die innere Stille und Verbundenheit nicht mehr das längere Sitzen auf dem Kissen voraussetzt. Fraglos intensivieren mehrere Tage der Kontemplation die Tiefenerfahrungen. So bedaure ich es sehr, nur noch Tage oder Wochenenden in die Stille gehen zu können oder sie anzuleiten. Es freut mich, dass ich vor Jahren, zusammen mit anderen Lehrenden, den Einbezug von Körperachtsamkeit und Leibarbeit in die vi einbringen konnte. Die Zeit dafür schien reif. Und die damalige spirituelle Leitung zeigte sich sehr offen dafür.
Dieses Jahr habe ich meine kirchliche Anstellung beendet. Dieser Schritt war wichtig, denn das Kleid der Institution war mir längst zu eng geworden und ihre Geschichte lastet zu schwer auf den Schultern und im Herzen. Zudem rief meine Gesundheit überdeutlich nach mehr Raum für Selbstwerdung, Erholung und Freiheit. Der vi treu zu bleiben ist für mich selbstverständlich. Einige Kontemplationsangebote führe ich mit ungebrochenem Engagement weiter und bin dabei, neue Angebote im kirchlichen und ausserkirchlichen Rahmen aufzubauen.
Politische Aktualität wie Klimakatastrophen oder Kriege rufen immer wieder stilles Engagement ins Leben. Auf Anfragen diesbezüglich gehe ich sehr gerne ein. Das hat auch Zukunft und gehört für mich zum Auftrag der vi in Welt und Kirche hinein. Stille, heilige Stille, die sich aufs Leben auswirken darf in verschiedensten Weisen des Engagements. Denn Kontemplation verändert und ist heilend, lässt erwachen, aufstehen, Gott und Welt verbinden. Unser Netz «Verbunden in der Stille» ist ein Baustein davon. Die Verbundenheit tut gut, sie stärkt.
Seit langem treibt mich persönlich zudem die Sehnsucht an, dem auf den Grund zu gehen, was im Sitzen energetisch geschieht. Wie genau geschieht heilende Wirkung auf den Körper, die Seele und das menschliche Energiefeld beim Sitzen? Inwiefern wirken wir (noch vor jeder konkreten Aktion) heilend in die Welt hinein? Wie kann ins Bewusstsein treten, was auf dem Weg in die Tiefe, in der Verbundenheit mit der Quelle zuinnerst geschieht? Wie geschieht das Wachsen in neue Dimensionen hinein und wie verändert uns das bis ins Zellbewusstsein? Welche Verbindung gibt es zur Heilarbeit wie z.B. jener des Handauflegens? Solchen Fragen möchte ich nun vertieft nachgehen, lasse mich führen und finden von der Berufung, die ich spüre, auf dem Weg immer heiler in mir selbst und für die Welt zu werden.
Claudia Nothelfer, Kontemplationslehrerin via integralis