Geschrieben habe ich, was ich vermisste zu lesen: Ein Buch, das die katholische Messe als einen erprobten Wandlungsweg – ein kostbares Gratis-Ritual – für die Menschheit beschreibt. So entstand «Im Herz der Liebe – Wandlungsweg Messe» in einem längeren schöpferischen Prozess.
Mein Blick ist vieldimensional: Ich schreibe als zutiefst religiöser Mensch, als katholischer Gemeindeleiter und Kontemplationslehrer via integralis, als jemand, der als Kind, Jugendlicher und Erwachsener, als Teilnehmender und Vorsteher, die einzelnen Elemente der Messe durchlebt (hat). Das Buch gibt Einblick, was in mir vorgeht, wenn ich heute Gottesdienst feiere und warum ihr Ablauf Sinn macht. So habe ich meine sowohl persönliche als auch theologisch und spirituell fundierte Liebesgeschichte mit der heiligen Messe aufgeschrieben. Für mich ist die Messe ein bewährter kollektiver Pfad, der Erneuerung ermöglicht und das Beste im Menschen freilegt. In der Sprache des Buches: «Wir werden in das verwandelt, was wir lieben, Leib Christi, Leben für die Welt.» Zu guter Letzt gebe ich Zeugnis über meine Berufung «Christuspriester sein».
Weiter Raum
Ja, so es ist: Seit ich mich erinnern kann, nehme ich regelmässig an der Messe teil. In mir leben kindliche «Einheitserfahrungen», die sich mit diesem Ritual verbinden. Die Messe, entstanden aus der frühchristlichen Tradition des Mahlhaltens, physische und seelisch-spirituelle Sättigung waren damals eins, hat sich während des Zweiten Vatikanischen Konzils verändert und wird seit der Herausgabe des Messbuches 1969 in der heutigen Form gefeiert. Kollektive, autobiografische Geschichte und Geschichten aus verschiedenen Pfarreien und Gemeinden der sechs Jahrzehnte meines Lebens werden «im Herz der Liebe» verarbeitet. So erschliesst das Buch die Messe vom Kreuzzeichen am Anfang bis zum Schlusssegen in ihrer geistlichen und persönlichen Tiefe. «Seit bald 2000 Jahren machen Menschen in der Messe Erfahrungen. Unsichtbare Seelenräume öffnen sich füreinander. Im Mysterium der Messe berühren sich Menschen, Seelenräume und das göttliche Mysterium in ihrer Unsichtbarkeit. Im Ineinanderfliessen der Erfahrungen geschieht Begegnung. Es bildet sich ein gemeinsamer, weiter Seelenraum. Anwesende, Apostolinnen und Zeugen des Glaubens aller Zeiten, finden sich im Herz der Liebe.»
Stilles Gratisgeschenk
Das Wort «gratis» geht zurück auf gratia, Gnade. Die Messe ist für mich jedoch kein Schnäppchen, sondern ein Geschenk. Auch keine Unterhaltung, nichts soll die Teilnehmenden «unten-halten». Nein, die Messe vermag zu verwandeln in das ewige Ineinander der Liebe: «Die katholische Messe ist ein ritueller Raum, in dem Menschen die Begegnung mit Gott angeboten wird, in dem sie seelisch, geistig und körperlich angesprochen werden. Die Messe ist eine Zeit der Begegnung mit Gott, sinnlich gestaltet und konkret erfahrbar. Wer sie besucht, riskiert etwas. Denn das Ritual kann wirken». Eben das vermisste ich zu lesen: Was in der Seele der Feiernden und im Raum passiert, wie sich Gottesdienst und Alltag ergänzen. So schrieb ich in Tagen der Besinnung über einige Jahre das Buch, nach dem ich mich sehnte. Das Buch entstand in Stille. Und mit einem Kapitel über die Stille, ihre unterschiedlichen Qualitäten, damit beginnt es. Denn «Angelpunkt jeder Messe ist für mich die Stille. Meine Erfahrung ist, dass alles Leben aus der Stille kommt, Stille ist und zur Stille führt. Stille hütet das Leben. Stille ist wie ein Schutzmantel, der alles umgibt, alles Vergangene, Gegenwärtige und alles Zukünftige. Stille beschützt Verborgenes, Ersehntes oder Erhofftes, das Beste in uns. Stille ist in Gott… und so gehört das Üben der Stille zu meinem Tag, Ich beginne den Tag mit stiller Meditation und Gebet. Ich übe christliche Kontemplation… Ich liebe die Stille im Gottesdienst. Ebenso halte ich immer wieder inne während der Arbeit, um ganz wach da zu sein als Seelsorger und Gemeindeleiter… Stille muss und kann ich nicht machen. Sie ereignet sich, wenn ich mich widerstandslos auf die Wirklichkeit einlasse. Wenn ich mich mit höchster Neutralität und mit all meiner Kraft der Wirklichkeit hingebe».
Ebenen der Wirklichkeit
«Im Herz der Liebe» spricht kirchlich beheimatete und spirituell suchende Menschen an. Es sind drei Ebenen, die sich verweben: Der Ablauf der Messe, meine persönlichen Erfahrungen aus Biografie und Seelsorge und drittens Zitate und Erläuterungen aus Mystik und Poesie verschiedener Traditionen und Zeiten. Dabei wechsle ich immer wieder die Perspektive: Ich schreibe als gläubiger Mensch, als Seelsorger, als Suchender, in dessen praktischen Gebetsleben neben christlichen auch jüdische, buddhistische und hinduistische Elemente Platz haben, als Übender der den Ruf Eckharts «geh in deinen eigenen Grund» ernst nimmt, schliesslich als priesterlicher Mensch, für den sich in der Messe Himmel und Erde immer wieder neu verbinden. Das Leben der Menschen, Geburt und Tod, Flucht und Daheimsein, Krieg, Liebe und Sinnsuche spiegeln sich. So feiere ich in meiner Heimatpfarrei St. Johannes Zug das uralte Ritual der Messe als Übung der Wandlung in eine liebe-, sinn- und verantwortungsvolle Existenz.
Notwendige Messe
Deshalb leide ich daran, dass viele Menschen keinen Zugang mehr zur Messe haben. Für mich ist sie kein «Hokuspokus», sondern eine in unserer überkomplexen Welt zugängliche Weise, am Faden von Zeit und Ewigkeit je und je neu Mensch zu werden. In der Kombination von Ritualprozess, geistlicher Vertiefung und Erfahrungen lässt sich das Buch alleine lesen. Es regt Gespräche zur Sprachfindung und Entwicklung eigener spiritueller Bedürfnisse und Heimaten an. Viele heutige Menschen wachsen zunehmend ohne gottesdienstliche Praxis auf. Menschen, die Kontemplation üben, geht es vermutlich ebenso. Diese begegnen im «Wandlungsweg Messe» – im Buch lesend – den vieldimensionalen Qualitäten des gottesdienstlichen Transformationsweges. Entstanden in stillen Zeiten und im Gottesdienst kann es in einer leeren Kirche oder in der Messe selber zum Begleiter werden: Ich stelle mir vor, dass man oder frau mit diesem Buch in einem Kirchenraum sitzt, liest und so – in der eigenen Resonanz – sich das Leben ordnet und neu gründet. Die Messe ist und bleibt unverfügbares Geschenk Gottes, «sich selber und der Welt fürsorglich» zu begegnen.
Paradoxe Produktivität
Als verheirateter katholischer Theologe, mit zwei erwachsenen Söhnen, seit bald 22 Jahren Gemeindeleiter, spüre ich den Schmerz der katholischen Tradition: Solange Frauen aufgrund ihres Geschlechts nicht zu Diakoninnen und Priesterinnen geweiht werden, werde auch ich mich nicht zum Diakon weihen lassen. Das Amt des Priesters ist ja ohnehin nicht vorgesehen für sie und mich.
Der priesterliche Ruf hat mich allerdings bereits in meiner Kindheit erreicht. Und, in aller Demut, bin ich mir schon lange bewusst und spreche dies auch öffentlich aus: «Ich bin zum Priester berufen.» Mit dem Vertrauen und der Sendung des Bischofs von Basel hat sich für mich ein paradoxer Freiraum eröffnet. Gerade weil ich kein Amtspriester bin, durfte ich dieses alte Ritual neu verstehen, erschliessen und gründen. Ein Lehrmeister dabei war Teilhard de Chardin, seine «Messe über die Welt». Und Menschen können es anerkennen: «Viele Leute sagen spontan Pfarrer zu mir. Ein Dorforiginal bringt es in der ersten Begegnung auf den paradoxen Punkt: So, Sie sind also der Herr Nichtpfarrer: Herzlich willkommen! Die Leute bedanken sich am Sonntag ‘für die schöne Messe’. Sie sind sich durchaus bewusst, dass sie an einer Kommunion- und nicht Eucharistiefeier teilgenommen haben. Sie anerkennen und erfahren, dass in der schönen Messe Gottes Wandlungskraft wirkt».
«There’s a crack…, that’s how the light gets in» (Leonard Cohen)
Viele Frauen und Männer, deren priesterliche Berufung von der römisch-katholischen Kirche ignoriert wird, erleben wie ich einen Riss und lebensgeschichtliche Blockaden. Doch diese können heilen. Im Tun. Im priesterlichen Wirken. Pia Gyger, meine Zen- und Kontemplationslehrerin, sie hat mich immer wieder drauf hingewiesen. Da wo Verletzungen sind, vermag Licht hereinzufallen. In ihrem (und Anna Gammas) bewährten Weg und Worten: Kernschatten – Kernverletzung – Kernkompetenz. Oder mit dem alten Bild: Die blühende Lotusblume wurzelt im dunklen Morast. Pias Vision «Werdet Priesterinnen und Priester der kosmischen Wandlung» hat mich bereits vor dem Erscheinen ihres Buches mit gleichnamigen Titel inspiriert. So kann ich sagen: Die (amtskirchlich verursachten) Blockaden «haben sich durch die gemeindliche Praxis als Seelsorger und persönliche Integrationsarbeit an der eigenen Berufung in den letzten Jahren aufgelöst». Christuspriester und Christuspriesterinnen – berufene Männer und Frauen, die in ihren Gemeinden überall auf der Welt priesterlich wirken, bereit zur Ordination zum sakramentalen Dienst – widme ich somit das letzte Kapitel des Buches. Ja, sie wirken, Frauen und Männer, die Christus in allem den Vorrang geben und in ihrem täglichen seelsorglichen Tun Himmel und Erde verbinden.
So ist das Buch, neben Dank an meine Ehefrau Regula, auch ein Gassho vor Pia Gyger! Und ich freue mich, wenn es Lesende findet. Solche, die je auf ihre eigene Weise bereit sind «in Verantwortung für kommende Generationen» sich als Teil dieser kosmischen Wandlung zu verstehen und verfügbar zu machen.
Bernhard Lenfers Grünenfelder
Kursive Zitate aus: Lenfers Grünenfelder, Bernhard (2024): Im Herz der Liebe – Wandlungsweg Messe. Würzburg: Echter Verlag. ISBN 978-3-429-05899-9
Gratuliere , lieber Bernhard
Ich freue mich sehr , dein Buch zu lesen , habs mir natürlich bestellt 🙂