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Interview mit Dorothea Welle

Dorothea Welle

Es ist Samstagmittag, Via Integralis Lehrerweiterbildungstreffen auf Maria Lindenberg bei Freiburg im Schwarzwald. Wir sitzen unter der alten Linde vor der Kapelle, geschäftiges Tun auf dem gekiesten Vorplatz: bald wird hier eine Hochzeit stattfinden. Die dichten Schwarzwaldmorgennebel lichten sich. Einzelne Sonnenstrahlen beginnen, die verschiedenen Grüntöne der sanften Hügel rundherum zu beleuchten.

Regina Grünholz (RG): Kannst Du, Dorothea, in einigen Sätzen etwas zur Geschichte dieses Ortes Maria Lindenberg sagen? Seit wann genau finden hier Anlässe der Via Integralis statt?

Dorothea Welle (DW): Ja, das ist eine spannende Geschichte. Der Lindenberg ist seit über 500 Jahren ein Wallfahrtsort. Begonnen hat alles mit dem in Not geratenen reichen Galli-Bauern und seinem Hütebuben unten im Ibental. Beiden ist die Mutter Gottes erschienen mit Worten und Zeichen. Auf ihr Wort hin ließ der Bauer zunächst ein Bildstöckle errichten, kurz darauf eine Kapelle auf dem Berg. Bald schon kamen viele Wallfahrer hier her. Und es ist auch heute noch ein lebendiger Ort. Weder die Kirche selbst noch der Staat konnten durch Schließung der Kirche die Menschen davon abbringen, auf den Lindenberg zu pilgern. Auch kriegerische Auseinandersetzungen konnten die Anziehungskraft des Lindenbergs nicht zum Erliegen bringen. Starke Frauen, die sich als kleine Gemeinschaft im 19. Jahrhundert angesiedelt hatten, haben wesentlichen Anteil daran. Dazu kamen die selbstbewussten Bauern aus dem Ibental. 1915 zogen Franziskanerinnen aus Gengenbach auf den Lindenberg und begannen, mehrtägige Exerzitien mit Vorträgen, Schweigen und Einzelgesprächen anzubieten und die Menschen auch für mehrere Tage zu beherbergen. 100 Jahre später haben wir die Angebote unserer Zeit angepasst. Dazu zählen auch die Kontemplationstage der Via Integralis mit Gabriele Geiger-Stappel und Bernhard Stappel. Wir bieten sie seit 2013 bei uns an. – Und eine Besonderheit auf dem Lindenberg ist unsere Männergebetswache.

RG: Etwas zur Gebetswache, die auf Maria Lindenberg gepflegt wird, auch „Bruder Klaus Wache“ genannt.

DW: Begonnen hat die Männergebetswache 1955. Anlass waren die Gespräche, die der damalige deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer mit der russischen Regierung unter Nikita Chruschtschow und Nikolai Bulganin führte zur Freilassung der restlichen ca. 10`000 deutschen Kriegsgefangenen. Alois Stiefvater, der Männerseelsorger unseres Erzbistums in jener Zeit, begleitete diese Begegnung mit einer Gruppe Männer im Gebet. Dazu waren sie zu Bruder Klaus nach Flüeli gereist. Und dieses Gebet für den Frieden in der Welt sollte fortgeführt werden. So kam es zur Gebetswache auf dem Lindenberg.- Dass sie „Bruder Klaus Wache“ genannt wird, ist mir bisher noch nicht begegnet. Aber passend ist das durchaus.

RG: Hat die Gebetswache das Projekt Meditieren für eine Friedliche Welt (MFW) beeinflusst?

DW: In der Tat ist hier manches miteinander verwoben. Das Via Integralis Projekt Meditieren für eine Friedliche Welt hat ja im Haus Fernblick 2016 erstmals stattgefunden. Bernhard Stappel hatte den wunderbaren Einfall, das letzte Jahr des Hauses vor seinem Verkauf durch eine möglichst durchgängige Präsenz von Meditierenden zu würdigen. Die Erfahrungen, von denen letztes Jahr im Fernblick berichtet wurde, brachten mich auf die Idee: da jeweils im Dezember die Gebetswache auf dem Lindenberg pausiert, könnten wir doch in diesem Zeitraum „die Fackel übernehmen“. Spontan gab ich die Idee in den Kreis. Bernhard Stappel, der zu diesem Projekt u.a. auch von der jahrelangen Tradition der Gebetswache auf dem Lindenberg inspiriert war, stand gleich dahinter, und er wird auch die ganze Zeit im Dezember dieses Jahr selber anwesend sein. Dazu gesellt haben sich weitere Via Integralis Lehrende, so dass die Präsenz gewährt ist. Wer möchte, kann für einen oder mehrere Tage dazu kommen. Weitere Informationen dazu finden sich auf der Homepage.

RG: Wie ist die Via Integralis auf den Lindenberg gekommen?

DW: Was soll ich sagen? Seitdem ich mit meiner Arbeit als Leiterin der Exerzitien und Geistlichen Angebote im Haus Maria Lindenberg begonnen habe, mache ich die Erfahrung, dass sich vieles fügt.
So war es auch mit der Via Integralis. Bernhard Stappel war Ende 2012 mit seiner Frau bei uns, und im Gespräch erzählte er mir von der Via Integralis, und dass in wenigen Wochen ein neuer Ausbildungskurs begänne. Die Inhalte überzeugten mich, war mir in meiner neuen Aufgabe doch gleich klar geworden, dass ich mehr noch wie in meiner Tätigkeit als Klinikseelsorgerin herausgefordert sein würde, verschiedene Zugänge zu Religion, Sinnsuche und Lebensgestaltung zu integrieren. Ich war also neugierig geworden, wie sich im Falle der Via Integralis Zen-Tradition und Christentum gegenseitig entdecken und bereichern, ohne das je Eigene aufzugeben. Nach Rücksprache mit meinem Dienstvorgesetzten bekam ich grünes Licht für die Teilnahme an der Ausbildung. Im Jahr darauf gab es bereits den ersten Kurs auf dem Lindenberg. Und nun auch schon zum wiederholten Male ein Treffen der Lehrenden.

RG: Was unterscheidet die Propstei Wislikofen im Kanton Aargau in der Schweiz, die eine Heimat der Via Integralis, von Maria Lindenberg, ihrer anderen Heimat? Wo liegen die Gemeinsamkeiten?

DW: Da ich selbst im Januar nicht beim Lehrendentreffen in Wislikofen dabei sein und somit den Ort noch nicht kennenlernen konnte, kann ich zu den Unterschieden nichts sagen. Mich freut, dass die Via Integralis mit dem Lindenberg – wie du sagst – nun auch eine Heimat oder besser „Herberge in Deutschland“ hat. Nach unserem Treffen hier im September stelle ich aber fest, dass eine Gemeinsamkeit ist, dass sich die Teilnehmenden in beiden Häusern wohl fühlen.

RG: Du hast beruflich zwei Standbeine: Du bist Klinikseelsorgerin in der Helios Klinik in Titisee-Neustadt und Bildungsverantwortliche im Haus Maria Lindenberg. Beschreibe bitte kurz diese beiden Tätigkeiten. Und: lassen sie sich so ohne weiteres miteinander vereinen?

DW: Klinikseelsorgerin bin ich seit zwölf Jahren. Da das von Anfang an eine 50%-Stelle war, war mir klar, dass irgendwann etwas dazu kommen musste. Und das war dann meine Leitungsaufgabe auf dem Lindenberg. Ich plane und organisiere die Angebote des Hauses, bin also für die inhaltliche Ausrichtung hier zuständig. Einige Kurse leite ich selbst, meist sind wir da zu zweit. Ein Leitmotiv unseres Programmes lautet: „Friede – Versöhnung – Gerechtigkeit“.
Die Seelsorge im Krankenhaus unterscheidet sich u.a. in der „Spontanität“. Die wechselnden Situationen der Patientinnen und Patienten fordern dich, im Augenblick präsent zu sein – ohne vorbereitetes Konzept. Dazu kommt, dass kaum einer freiwillig ins Krankenhaus geht – bei den Kursen ist das dann doch anders.
Zwei Arbeitsorte bedeutet, dass ich feste Tage am jeweiligen Ort habe. Das bringt Verlässlichkeit für mich und die Häuser. Im Krankenhaus bin ich „Gastarbeiterin“, da ich von der Kirche angestellt bin. Die „Gast-Freundschaft“ dort ist aber sehr gut.

RG: Wie erholst Du Dich? Wo tankst Du auf?

DW: Abgewandelt könnte ich sagen: „Der Arbeitsweg ist die Erholung“ – statt ins Fitnessstudio komme ich mit dem Rad zur Arbeit, im Winter auch mal mit den Langlaufskiern. Die Natur hier im Schwarzwald ist ein geschenkter Erholungswert, den es zugleich zu hüten gilt. Dann singe ich auch in einem Chor und greife ab und zu zur Flöte.

RG: Etwas zu Deinem Werdegang und, soweit du möchtest, zu Deinem privaten Leben?

DW: Weil ich es faszinierend fand beruflich weiterzugeben, was mir persönlich viel bedeutet, habe ich Theologie studiert. Auch ein halbes Jahr in Fribourg in der Schweiz. Dort lag mein Schwerpunkt allerdings auf dem Mitleben in der Archegemeinschaft „La Grotte“, wo Menschen mit und ohne Behinderung zusammenwohnen. Diese Zeit hat mich geprägt.
Nach einigen Jahren als Pastoralreferentin in der Pfarreiarbeit entschied ich mich für ein Sabbatjahr. In dieser Zeit wanderte ich auf dem Jakobsweg bis zum Ende. Danach kam ich in den Hochschwarzwald.

RG: Wie bist Du zur via integralis gekommen? Wie lässt sich die spirituelle Offenheit dieser Kontemplationsschule in Deinen Berufsalltag einbringen?

DW: Ja, wie gesagt, es war die Begegnung mit Bernhard und Gabriele auf dem Lindenberg. Es ist in der Tat die „spirituelle Offenheit“ und Weite, die es eigentlich in jeder Begegnung braucht, nicht nur zwischen Buddhisten und Christen. Zugleich führt diese Auseinandersetzung auch mehr zum Eigenen. Es ist ein Offen-sein im Bewusstwerden dessen, wo ich selbst meine Wurzeln sehe.

RG: Welche Rolle spielt Franz Jalics SJ in Deinem Leben? Wo steht er der Kontemplationsschule Via Integralis nahe, worin unterscheidet er sich?

DW: Franz Jalics ist mir bis heute „stiller Begleiter“. Die Kurse bei ihm haben mich geprägt. Die Einfachheit – innen und außen. „Der Weg ist einfach – du musst ihn nur gehen“, an diesen Satz denke ich immer mal wieder. Er entspricht auch meiner Erfahrung auf dem Jakobsweg: „Mir zu Füßen: el camino“.
Die Kontemplationsschule Via Integralis erlebe ich mehr auch als einen Ort der Auseinandersetzung. Verantwortung für die Welt wird hier – zumindest in der Gruppe der Lehrenden – auch in Diskurs und Dialog wahrgenommen. Stark finde ich dabei, wie die Kontemplation die Basis für das Gespräch darstellt. Wer im Haus Gries in Wilhelmsthal (Anm. DW: westlich von Frankfurt und nördlich von Nürnberg) für einige Zeit in der Hausgemeinschaft mitlebt, erfährt es dort vielleicht ähnlich. Das Meditieren hat bei Franz Jalics, der wie Niklaus Brantschen dem Orden der Jesuiten angehört, eine klar christliche Ausrichtung, die dem Beginn jeder Meditation vorangestellt wird. Sein Weg ist der Weg des „Herzensgebetes“. Gleichwohl hat der Ursprung eine politische Brisanz, die in der Gefangenschaft von Franz Jalicz in Argentinien liegt.

RG: Ausblick: Etwas zu Meditieren für eine Friedliche Welt vom 1.12. bis 22.12.2017 auf Maria Lindenberg?

DW:Auf die Zeit im Advent freue ich mich. Ich bin gespannt, wie die Resonanz aus der Umgebung ist, ob manche Menschen das Angebot als „ora et labora“ für sich nutzen und vor oder nach der Arbeit, etwa aus Freiburg, auf den Lindenberg kommen. Anderen kann ich nur gönnen, ein paar Tage als kleine Auszeit für sich zu nehmen. Es gibt auch drei Wochenendseminare in dieser Zeit. Die Kursleitungen wissen um unser Projekt und ermöglichen den Teilnehmenden ihrer Kurse, die Teilnahme an den Meditationen jeweils morgens bzw. abends um sieben Uhr. Wer mehrere Tage hier ist, kann sich mit den Verantwortlichen der Woche individuell absprechen, die Umgebung erkunden oder eine Schneetour unternehmen. Eine kleine Einschränkung haben wir: aus betrieblichen Gründen sind Übernachtung und Verpflegung im Haus ab dem 18. Dezember nicht mehr möglich. Gerne vermitteln wir aber Zimmer oder Ferienwohnungen in der Nähe.

Drei Überraschungsfragen:

RG: Dein Name ist Welle – was unterscheidet Dich von einer Woge?

DW: (lacht) … eine Welle ist mehr in Bewegung, eine Woge ist wuchtiger. Eine Welle ist nicht festgelegt, die gibt’s in einem Fluss, im See oder im Meer. Die Welle hat etwas Leichtes.

RG: Ist die via integralis mit den beiden katholischen Bildungshäusern nicht etwas zu rechtslastig?

DW: Heisst katholisch rechtslastig?? – Es gibt Strömungen in der katholischen Kirche, die in diese Richtung gehen mögen. Aber „katholisch“ heisst ja vom Grundverständnis her „für alle, allumfassend“. Da gibt es weder rechts noch links. Auf die Nachfrage von Niklaus Brantschen neulich während der Fortbildungstage, wie es kommt, dass bei uns überall Kreuze hängen, antwortete ich spontan: das ist unser Absender. Auch in unserem Haus, in dem wir Offenheit für alle leben, soll man sehen, dass wir christlich sind. So haben auch die Kruzifixe in den Räumen ihren Platz.

RG: Bruder Klaus – Schwester Dorothea?

DW: Meinst Du mit Schwester Dorothea seine Frau? Die Namensgleichheit zu mir lässt sich natürlich auch nicht verbergen. Ob meine Eltern bei der Wahl des Namens an Bruder Klaus und seine Frau gedacht haben, glaube ich weniger. Es war wohl mehr die Bedeutung, die ihnen wichtig war: „Geschenk Gottes“ – was natürlich für jeden Menschen zutrifft! Zu Klaus und Dorothea von der Flüe habe ich bisher keinen engeren Draht. Ich fühle mich ihnen vielleicht geschwisterlich nahe…

…fröstelnd stehen wir auf, es ist kühl geworden, die Linde lässt noch ein paar Regentropfen von ihren Blättern fallen… noch geschwind einen Kaffee: und wir sind bereit für die Fortsetzung von Franz Johannes Litsch`s Vortrag über die „Kulturelle Grundlagen für eine Integration buddhistischer Meditation in die westliche Welt als Anfrage an eine christliche Mystik von heute“.

Regina Grünholz, 2. September 2017

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