Lesetipp von Hella Sodies
«Die Wirklichkeit, die wir ‘Gott’ nennen, hat einen Namen. Der Namen lautet ‘Liebe’. ‘Liebe’ ist – man verzeihe den Vergleich – ein anderes Wort für ‘Gruppenkleister’.»
Eine von vielen kernigen Aussagen, mit denen Niklaus Brantschen in seinem neuen Buch «Gottlos beten» sowohl religiös Sozialisierte wie auch Atheist:innen und Menschen, die kirchlichen Institutionen fernstehen, zu einer «spirituellen Wegsuche» einlädt. Beim Lesen spürt man, dass der 84-jährige Jesuit und Zen-Meister weiterhin mitten in der Welt von heute lebt und ihre Herausforderungen, die auch die unseren sind, kennt.
«Kann ein Mensch gut sein, sogar ein ‘Heiliger’ werden ohne Gott?»
In jesuitischer Weite und in einer Freiheit, die aus der Stille gewachsen ist, hinterfragt er auf knapp 130 Seiten selbstbewusst und demütig zugleich gängige christliche und buddhistische Denkweisen, religiöse Riten und Formeln auf ihre Lebens- und Alltagsrelevanz und lädt in fünf Teilen zu einer weltoffenen, interreligiösen Spiritualität ein.
Dabei scheut er sich nicht, den Finger in die Wunden unserer Zeit zu legen. Im Ruf nach einer spirituell gegründeten Ethik fragt er in seinem Kapitel zur «ars vivendi», wie wir Lebensqualität und quantitatives Wachstum, Sein und Haben gewichten. Voraus gehen die «Kunst des Betens» und die «Kunst des Glaubens».
In den Kapiteln «Vom guten Sterben» und «Von der Liebe» lässt er die Leser:innen an eigenen, berührenden Lebenserfahrungen teilhaben, um sie – uns – am Ende zu ermutigen, die «Hand aufs Herz» zu legen.
Was er damit meint? Um das herauszufinden und manch andere Inspirationen und Denkanstösse mit in den Alltag zu nehmen, empfehle ich die Lektüre dieses klugen und mit humorvoller Feder geschriebenen Büchleins sehr.
Niklaus Brantschen, Gottlos beten. Eine spirituelle Wegsuche, Patmos Verlag, Ostfildern 2021