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Tomáš Halík: Berühre die Wunden

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Buchbesprechung von Claudia Nothelfer

“Berühre die Wunden” empfinde ich als kostbare, eher anspruchsvolle theologische Reflexion. Sie arbeitet das genuin Christliche in einer Weise heraus, die jegliche Süssigkeit christlicher Religiosität zurückweist. Tomáš Halík legt den Finger in die Wunden von damals und heute, in authentischem Mitgefühl und kompromissloser Klarheit. Das Buch kann all jenen eine Bereicherung sein, die die billige Auseinandersetzung mit den Grundfragen des Glaubens nicht (mehr) ertragen, sondern sich herausfordern und berühren lassen vom Leid, das Menschen einander antun.

Das Titelbild mag Assoziationen wecken, die das Buch jedoch so nicht einlöst, ausser durch den Wein als Sakrament des Blutes im Zentrum des Bildes. Vermutlich nicht zufällig «meditiert» Tomáš Halík in vierzehn Kapiteln die Wunden Jesu und unzähliger Menschen – wie einen Kreuzweg religiösen Lebens und theologischen Bedenkens. Dabei erlebt er, wie im Berühren von Wunden Christusbegegnung stattfindet. In ergreifender Weise nimmt er die Lesenden mit an Orte und Geschehnisse des Leids, etwa nach Jerusalem, Auschwitz und quer durch die Geschichte Europas. Im Verwundeten aller Orten findet er Gott als ein Geheimnis, das nicht in unberührter Glorie in den Himmeln thront, sondern sich ereignet in unserer, der Geschichte der Menschheit. «Mein Gott ist der verwundete Gott», bekennt Halík. Gott wird berührbar im menschlichen Leid.
Ausgangspunkt bildet die nachösterliche Erzählung von Thomas, der, erschüttert durch die Berührung der Wunden des Auferstandenen, bekennt: «Mein Herr und mein Gott!» (Joh 20,24-29). Der Weg zu Christus wird von seinen verwundeten Händen und seinem durchstochenen Herzen geöffnet.

Halík greift zurück auf die Leidensgeschichte Jesu, in der die Spirale der Gewalt durchbrochen wird: Die Wahrheit über menschliche Gewalt findet ihren Platz in der menschlichen Ohnmacht, die der gefolterte Jesus wortlos verkörpert. «Sieh da, der Mensch!» bekennt Pilatus im Angesicht eines Karfreitags, an dem ein Mensch nichts wäre ohne Ostermorgen. Denn schlimmer als der Tod ist die abgrundtiefe Verlassenheit im «Mein Gott, warum hast du mich verlassen?» Mit dieser bitteren Frage geht Jesus durch die Finsternis hindurch, durchleidet sie als «Tod Gottes», den Dialog mit seinem Vater nicht abbrechend – und setzt darin ein Vorzeichen der Auferstehung.

Die Erfahrung des «toten», nicht anwesenden Gottes auf Golgotha, betrachtet mit der konstruktiven Kritik Nietzsches am Christentum, zieht sich durch die Essays wie ein roter Faden. Wer dies außer Acht lässt, würde das Christentum zu einer bequemen “unverwundeten Religion” machen. Christlich glauben heisst für Halík, sich berühren zu lassen von der verwundeten und verwundbaren Welt, wie sie sich in Jesus, dem Christus, am Karfreitag der Welt zeigt. Schauen wir weg oder unberührt mit «sauberen Händen» zu? Wo sind die «guten Frommen», die die «Bösen» ihr satanisches Werk tun lassen, erleichtert darüber, selbst verschont zu sein? Karfreitag gibt den Anstoss, aus der Illusion der Unschuld und zur Umkehr zu erwachen, Mitverantwortung für die Welt zu ergreifen.
Das Wesentliche des wirklich christlichen Glaubens benennt Halík als ein Trotzdem und Dennoch, als ein verwundeter, durchstossener, gekreuzigter und auferstandener Glaube.

Die jüdische «Theologie nach Auschwitz» ist für Halík von zentraler Bedeutung nach der grauenhaften Erfahrung des Schweigens Gottes und dessen Ohnmacht. Anwesend war Gott in jenen, die auch dort nicht aufhörten zu beten oder ihn wie Hiob zum Gericht riefen. Aus der Perspektive eines vom Leid nicht selbst betroffenen Menschen ist das Fürbittgebet ein Gespräch mit Gott, insofern es uns tief bewegt und uns distanziert von den egozentrischen Wünschen ans Leben. Es ist ein Bekenntnis dazu, nicht zu vergessen, nicht wegzuschauen und diesem Gott hinzuhalten, was ich nicht zu ändern vermag.

Eine zutiefst christliche Theologie ist für Halík eine Theologe des Kreuzes (wie sie etwa Martin Luther entwickelt hat). Sie weiss von der vielleicht einzigen Erkenntnis Gottes als jene göttliche Kraft, die in der Schwäche, Erniedrigung und Ohnmacht allen gekreuzigten Lebens verborgen ist. Dazu gehört der augenöffnenden Blick auf die enge Verbindung von Auferstehung und Vergebung. Der Auferstandene erscheint nicht als Rächer, sondern als der Vergebende. Er bringt den Frieden und den Geist der Vergebung.

Vom Kreuz her erweist sich jegliche Metaphysik im Bemühen, das göttliche Wesen abstrakt zu erfassen, als sinnlos. Denn theologisch korrekt wissen wir, dass wir nicht wissen. Darum ist Gott nicht hinter den Kulissen der Wirklichkeit, sondern in der Tiefe der Wirklichkeit zu finden. Und der einzige Ort, so Halík, wo das Wort Gottes Sinn gewinnt, ist die Geschichte Jesu. Und diese ist nicht nur schwer, sie ist auch leichtfüssig tanzend, eine Geschichte der Freiheit. Nur durch sie und durch Jesus selbst kennen wir den lebendigen Gott. Die Person Jesu lebt vor allem Beziehung: zu Gott, zu uns und in dem, was wir im Geist Christi wirken.

In seiner Zen-Schulung bei Pater Enomiya-Lassalle und seiner Kontemplationspraxis erfährt Halík Gott unter seinem Gegenteil, verborgen in den Paradoxa. Sie lassen ihn das bekannte Koan über Buddha umformulieren in «Begegnest du Christus, so töte ihn!» Christus kann nicht Gegenstand der Meditation sein, sondern es geht darum, in Christus zu sein, im Geiste eins mit ihm zu werden.

Weiter geht Halík auf die Kritik in der Gesellschaft an Kreuzesdarstellungen mit «hässlichem» Corpus ein, im Widersrpruch zu deren Faszination an der Wanderausstellung «Körperwelten».

Schliesslich betrachtet der Autor jene, die Jesus im Schatten des Kreuzes verlassen haben und jene, die Jesus bis zum Kreuz gefolgt sind, etwa Frauen wie Veronika, die Mutter Jesu und Maria Magdalena. Sie waren erste Zeuginnen der Auferstehung. Sie erkannten Jesus «im Leib», was meint: “in der unverwechselbaren Identität der Person”. Weder seine Person noch die Erfahrung derselben kann festgehalten werden. Mit Christus leben heisst, mit ihm auf dem Weg zu bleiben durch alle Höhen und Niederungen.

Im letzten Kapitel des Buches geht es um Schritte zur Heilung von Wunden der Welt. Dazu gehören für Halík Umkehr, Busse, Demut – oder schlicht: der Mut zur Wahrheit über sich selbst. Er schliesst sich der psychologischen Erkenntnis an: “Was nicht angenommen ist, kann nicht erlöst werden”. Menschen dürfen Wunden haben, sie anerkennen, eigene und andere Wunden berühren und sich von Berührungen heilen lassen.

Zur Person: Der Autor, Tomáš Halík, * 1948 und 1978 heimlich in Tschechien zum Priester geweiht, war als Psychotherapeut tätig, durchlief eine Zen-Schulung bei Pater Lasalle, praktiziert und lehrt das Herzensgebet und ist heute Soziologieprofessor in Prag. Er ist ein namhafter Autor profunder theologischer Literatur. Das vorliegende Buch hat er zum grossen Teil in einer Waldeinsiedelei im Rheinland verfasst.

Tomáš Halík, Berühre die Wunden. Über Leid, Vertrauen und die Kunst der Verwandlung, Freiburg im Breisgau 2013, 240 S., ISBN 978-3-451-30739-3.

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