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Interview mit dem neu ernannten Zen-Lehrer Jürgen Lembke

geführt von Regina Grünholz

RG: Jürgen, schon einmal haben wir uns zu einem Interview getroffen. Das war im November 2016 am Bahnhof in Zürich … erinnerst du dich noch? – Im Medizinischen würde man von einer Zwischenanamnese` sprechen: was hat sich bei dir in grossen Zügen seit dem 14. Oktober 2016 ereignet?

JL: Du sprichst von dem Interview, welches wir beide nach der Vereinsgründung der via integralis geführt haben. Damals wie heute ist es mir ein Anliegen, Menschen die Erfahrung des Aufgehoben-Seins zu ermöglichen. In Bezug auf unsere Gemeinschaft der Kontemplationslehrenden bedeutete dies, dass wir zusammen die via integralis als Verein etablieren. Ich sprach damals von Organisationsstrukturen, die, in Analogie zum knöchernen Skelett, unserem Organismus den notwendigen Halt geben. Heute freue ich mich über diesen sehr lebendigen Verein, in dem weiterhin Wachstum geschieht.

RG: Was bedeutet dir die bevorstehende Ernennung zum Zen-Lehrer? Was bringt sie mit sich? Was ist die Essenz eines solchen Schrittes?

JL: Am 21. November, also in wenigen Tagen, wird Niklaus Brantschen mich zum Zen-Lehrer der Glassmann-Lassalle Linie ernennen. Dankbarkeit kommt dabei an erster Stelle. Dankbarkeit darüber, dass ich während der letzten 30 Jahre unter seiner Anleitung üben durfte. Die Ernennung bedeutet für mich eine Ermutigung, weiterhin den Zen-Weg entschlossen zu gehen. Dabei ist die Hingabe an den Weg gleichbedeutend damit, das Leben anzunehmen mit allem, was es bietet. Als Zen-Lehrer werde ich künftig Menschen auf dem Zen-Weg begleiten und jene, die dies wünschen, als Schüler*innen aufnehmen. In der Essenz ist dieser Schritt ein Nicht-Schritt, der vom Hier zum Jetzt führt.

RG: Worin unterscheidet sich ein Kontemplationslehrer via integralis der Stufe 2 von einem Zen-Lehrer? Einem Sensei?

JL: In einer Welt, in der wir mit Worten und Benennungen Ordnung zu schaffen versuchen, sind Kontemplationslehrer via integralis und Zen-Lehrer zwei verschiedene Dinge. Diejenigen Lehrenden, welche ihre spirituelle Schulung noch bei Pia Gyger und Niklaus Brantschen begonnen haben, sind ganz grundlegend mit dem Zen-Weg in Berührung gekommen und haben das kulturell-kirchliche Erbe über diesen Zugang aktualisiert. Die meisten derzeitigen Stufe 2-Lehrenden sind diesen Weg mit den beiden Beinen der nüchternen Zen-Meditation und der Erfahrungswelt christlicher Mystik gegangen. Dies mag sich möglicherweise künftig ändern, wenn vermehrt Menschen den Weg der via integralis gehen, ohne eine formale Zen-Schulung zu durchlaufen. Die Frage, was denn einen Kontemplationslehrer von einem Zen-Lehrer unterscheidet, kann, so meine ich, nicht in diesen Kategorien beantwortet werden. Während die einen ihren spirituellen Weg ganz unter dem Dach ihrer christlichen Prägung ausüben möchten, mag für andere die absolut offene Haltung des Zens bestimmend sein.

RG: Was ist deiner Meinung nach die Bedeutung gegen innen und gegen aussen davon, dass der Präsident der via integralis auch Zen-Lehrer ist?

JL: Als ich mich im Herbst 2016 zur Wahl als Präsident des Vereins stellte, war für mich zentral, dass jemand diesen Dienst für unsere Gemeinschaft von Kontemplationslehrenden übernehmen musste, der auch den säkularen Anforderungen dieser Rolle gewachsen ist. Diese Aufgabe habe ich gerne übernommen, ohne dass ich mich ständig dabei frage, wessen Kind ich innerlich bin. Es ist mir jedoch ein grosses Anliegen, dass das was wir innerhalb der via integralis tun, authentisch, mit Sorgfalt und Wohlwollen geschieht. Hildegard Schmittfull vermittelt ihrer Ausrichtung entsprechend primär Kontemplationskurse, obwohl sie autorisierte Zen-Lehrerin ist. Ich selbst werde weiterhin vorwiegend Zen-Kurse anbieten.

RG: Du wirst, wie es an solchen Anlässen Brauch ist, einen neuen Namen bekommen – dieser wird noch geheim gehalten. Verspürst du irgendwo einen kleinen Wunsch, eine Neigung hin zu einem Namen, der ja in seiner Bedeutung auf den Träger hinweist?

JL: Über alle Kulturen hinweg gilt “nomen est omen”. Der Name formt die Person. Mein christlicher Name “Jürgen” ist eine Entsprechung zu “Georg”, dem Bauer. Mein buddhistischer Name “Jian” benennt “mitfühlender Frieden”. Beide Namen erfahre ich als Appell, diese Qualitäten zu entwickeln. Ich bin natürlich gespannt, welchen Lehrernamen Niklaus Brantschen für mich wählen wird und freue mich darauf, auch diesen Appell zu beherzigen.

RG: Wie erklärst du jemandem, was es heisst: den Dharma weitergeben?

JL: Anstatt dies zu erklären, lade ich lieber dazu ein, den Dharma, die letzte Wirklichkeit, selber zu realisieren oder christlich ausgedrückt, eins mit dem Leib Christi zu werden.

RG: Wann ist dein erstes Sesshin im Lassalle-Haus geplant? Schwebt dir schon eine Thematik für die täglichen Unterweisungen (Teisho) vor?

JL: Im Mai findet mein erstes Zazenkai im Lassalle-Haus statt. Im August das erste Sesshin. Im September folgt dann ein Zen-Einführungswochenende. Daneben baue ich Angebote im Rebberg-Zendo in Wettingen auf, das ich mit meinen Weggefährt*innen gegründet habe. Die Teishos habe ich noch nicht festgelegt. Ich werde aus dem reichen Schatz der Traditionen sicher passende Unterweisungen finden.

Vertretung der via integralis an der Transmissionsfeier. vlnr: Hildegard Schmittfull, Lisbeth Granacher, Marianne Lembke, Kenzan Jürgen Lembke, Niklaus Brantschen, Margrit Wenk-Schlegel, Markus Heil, Marcel Steiner

RG: Wie antwortest du, wenn dich in nächster Zeit jemand angeht und dein Schüler, deine Schülerin werden will?

JL: Im Einzelgespräch während meiner Kurse werde ich zusammen mit einer interessierten Person die Motivation klären. Die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler*in soll nicht leichtfertig eingegangen werden und erfordert von beiden Seiten Hingabe.

RG: Herzlichen Dank, Jürgen für deine Ausführungen – und lass mich dir im Sinne von Lehrenden und an der Kontemplation Interessierten zu diesem Schritt, der ein Nicht-Schritt ist, gratulieren und dich ermuntern, weiterhin auf beiden Beinen gehend deine verschiedenen Rollen gut ausbalanciert als deine eigene Wahrheit zu verwirklichen.